Märchen aus Korea by tr.Hans-Jürgen Zaborowski - HTML preview

PLEASE NOTE: This is an HTML preview only and some elements such as links or page numbers may be incorrect.
Download the book in PDF, ePub, Kindle for a complete version.

83. Wenn man es zu eilig hat 




Ein junger Mann vom Lande wanderte in die Hauptstadt, um sich dort ein wenig umzusehen. Es war das erste Mal, daß er in die Hauptstadt kam, den ganzen Tag streifte er herum. Am Abend legte er sich unter das Dach irgendeines Hauses und schlief ein, wachte morgens wieder munter auf. Es war gerade Sommer, da geht so was ja mal. Auch in der nächsten Nacht legte er sich einfach irgendwohin.

Als er in der Morgendämmerung erwachte, fröstelte er. Der Himmel wurde langsam heller, aber bis es richtig Tag werden würde, war es doch noch lange hin. Niemand kam vorbei. »Was soll ich denn jetzt machen?« — er konnte nicht wieder einschlafen, aber wohin sollte er so früh am Morgen? Unentschlossen stand er in der Gasse. Plötzlich griff er sich nach dem Leib, der drückte ihn. Er mußte sich Erleichterung verschaffen. Er dachte sich: >Ich will in ein Gasthaus gehen, dort frühstücken, dabei kann ich dann auch das Örtchen aufsuchen.< Aber das alles war zu gut ausgedacht. Er hatte keine Zeit mehr, in ein Gasthaus zu gehen, zu sehr drückte es ihn. Er wandte sich nach allen Seiten um, niemand war zu sehen. Einfach hockte er sich hin, zu sehr quälte es ihn, es kam ihm nicht mehr darauf an, etwa sein Gesicht zu verlieren. Gerade war er fertig und wollte aufstehen, da rief ihn jemand an: »Was bist du denn für einer?«, erschrocken blickte er auf — ein Nachtwächter kam näher. 

»Ach, was soll ich nur machen?«, es gab keinen Ausweg. Verzweifelt dachte er nach, den Hut nahm er vom Kopf, ließ ihn auf den Haufen fallen. »Was machst du denn hier?« — mit dem Knüppel in der Hand kam der Nachtwächter bedrohlich nahe, musterte den jungen Mann vom Land von oben bis unten. »Schönen guten Morgen!« lachte der den Nachtwächter an, aber in seinem Herzen brannte die Angst wie Feuer. »Was du hier machst, hab ich dich gefragt!«, der Nachtwächter wurde ärgerlich. »Ja, da, da ...« — »Gleich heraus mit der Sprache!« — »Da, da ... Ja, als ich vom Land in die Hauptstadt gekommen bin, habe ich drei Tauben mitgebracht, die wollte ich verkaufen, um mein Kostgeld zu bekommen. Dummerweise sind mir zwei davon weggeflogen, eine konnte ich gerade noch im letzten Augenblick mit meinem Hut fangen.« — »So?« — »Wenn Ihr mir den Hut nur kurze Zeit festhalten wollt, kann ich die beiden Tauben, die davongeflogen sind, vielleicht noch einfangen. Eines von den Tieren will ich Euch als Dank geben«, sehr eilig tat er, wie ein Weib redete er daher.

»So? Dann mach schnell, fang sie ein, wenn es nicht gelingt ...« — »Hihihi. Verzeiht, daß ich Euch in Anspruch nehme.« Geschwind hielt der Nachtwächter den Hut auf dem Boden fest.

Dem Mann vom Lande wurde es leicht ums Herz. Den Schweiß wischte er sich von der Stirn, lief aus der Gasse hinaus. Mit einer Hand hielt der Nachtwächter den Hut fest, in der anderen seine Pfeife, an der zog er ab und zu. Als er die Pfeife leergeraucht hatte, war der junge Mann noch immer nicht zurück. Noch eine Pfeife stopfte sich der Nachtwächter, knurrte: »Warum kommt der denn nicht endlich zurück?«

Die Sonne war inzwischen ganz aufgegangen. Noch eine Pfeife rauchte er, dachte: >Der Kerl! Wenn er nicht kommt, kann ich wenigstens die Taube unterm Hut mitnehmen, und er hob den Hut ein wenig an, wollte daruntersehen. >Ei, wie das stinkt! Und ich hab immer gedacht, wenn es dunkel ist, schlafen die Tauben nur!< Schnell drehte er den Kopf nach der anderen Seite, war trotzdem froh, daß er billig zu einer Taube gekommen war.

>Wenn ich die auf dem Markt verkaufe, kann ich sogar Geld verdienen!<, so war er in Gedanken versunken. Eben kam jemand in die Gasse. Der Nachtwächter wurde rot, hatte Schuldgefühle über das, was er vorgehabt. »Ist Euch nicht ein junger Mann vom Lande begegnet?« fragte er den Mann, der vorbeikam, der aber schüttelte den Kopf.

Kaum war er weg, meinte der Nachtwächter: »Es bleibt mir ja nichts anderes übrig«, und eilig griff er unter den Hut und hielt das, was da drinnen war, fest. Etwas Weiches hielt er in der Hand. »Ach du Schreck! Was ist das nur?« fuhr er zusammen, sah nun doch einmal richtig unter den Hut.

Endlich merkte er, daß der junge Mann vom Lande ihn hereingelegt hatte, ärgerlich stampfte er mit dem Fuß.