Märchen aus Korea by tr.Hans-Jürgen Zaborowski - HTML preview

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84.  Des Königs Ohren




In alten Tagen, in der Zeit des Silla-Reiches, lebte ein König, der bekam plötzlich Anlaß zu großer Sorge. Der Grund war nichts anderes als — jeden Tag wuchsen seine Ohren, wurden größer und größer, jeden Tag wuchsen sie weiter. Gestern waren sie größer als vorgestern gewesen, heute waren sie größer als gestern. Weil sie immer so weiterwuchsen, wurden sie breit und lang, sahen schließlich genauso aus wie Eselsohren.

Völlig verzweifelt war der König deshalb. Ein König, das ist jemand, zu dem das ganze Volk aufschaut; wenn nun an einem so wertvollen Körper so komische Ohren wachsen, dann ist das nichts, worüber man leicht hinwegsehen kann. Beim Wachen und beim Schlafen, immer dachte der König nur an seine Ohren. Es kam so weit, daß er nur noch mit einem großen Hut, der seine langen Ohren versteckte, vor das gewöhnliche Volk, ja, auch vor seine Beamten trat. Aber es dauerte nicht lange, bis die Ohren in keinen Hut mehr hineinpaßten. 

»Was soll ich nur machen?« — hin und her überlegte er, schließlich rief er einen alten Hutmacher herbei. »Du, hör genau zu, was ich von dir will.« — »Ja, worum geht es denn?« — »Bei mir ist in der letzten Zeit etwas ganz Eigenartiges geschehen ...« — »Was ist es denn?« — »Aus irgendeinem Grund sind meine Ohren gewachsen, und jetzt weiß ich nicht mehr, was ich damit anfangen soll.«

Der Hutmacher hätte fast laut gelacht. Er dachte, es sei wirklich seltsam, wenn plötzlich die Ohren des Königs anfangen zu wachsen. »Wenn auf dem Kopf eines Königs solche langen Ohren wachsen und das Volk oder auch nur die Beamten davon erfahren, das wäre eine schlimme Sache. Du, kannst du mir einen Hut machen, der groß genug ist, meine Ohren darin zu verstecken? Es geht natürlich nicht, daß die Nachricht von meinen langen Ohren verbreitet wird, deshalb darfst du kein Wort darüber verlieren. Wenn die Leute doch davon erfahren, wirst du was erleben!« sprach der König ganz ernst.

Der Hutmacher nahm Maß, fertigte einen prächtigen Hut und setzte ihn dem König auf. Sich selbst schwor er, auf keinen Fall irgend jemandem davon zu erzählen. Denn eines war ihm klar — wenn er etwas davon ausplauderte, die Nachricht sich ausbreitete, konnte der König leicht vermuten, daß er den Mund nicht hatte halten können. So gab es im ganzen Land niemanden, der wußte, daß der König Eselsohren hatte, ausgenommen den Hutmacher, ja, und den König selbst. Als den Beamten auffiel, daß der König einen neuen, riesengroßen Hut auf dem Kopf hatte, ging gleich die Tuschelei los: »Was hat das nur zu bedeuten, daß des Königs Hut immer mächtiger aussieht?« — »Ja, seine Tugend wird immer größer, da muß er doch auch einen immer größeren Hut tragen!« — »Ach so ist das, mit der Tugend eines Königs wächst auch sein Hut!«

Wo man auch hinkam, überall konnte man diese Erklärung hören. Als auch der Hutmacher davon erfuhr, mußte er laut lachen. »Nur weil seine Ohren wie Eselsohren aussehen, hat er so einen großen Hut aufgesetzt!« — das wollte er gleich alle wissen lassen. Aber wenn er das erzählte, hätte es ja für ihn schlimme Folgen haben können, also zog er es doch vor, zu schweigen.

Der König aber, der hatte Tag und Nacht den riesigen Hut auf dem Kopf. Selbst wenn er Gäste begrüßte, niemals nahm er den Hut ab. So ging es ein paar Jahre, und noch immer gab es nur einen, der wußte, warum — den alten Hutmacher, und der konnte ja nicht darüber sprechen. Immer, wenn ihm die Geschichte mit den langen Ohren des Königs einfiel, mußte er lachen. »Niemand weiß, niemand in der Welt, daß unser König Eselsohren hat!«

Wenn er so plötzlich aufzulachen pflegte, mußten die anderen ja denken, daß er ein komischer Kauz war. Es war wirklich eigenartig mit ihm — ob er allein seines Weges ging, ob er mit seiner Familie beim Essen saß, immer wieder fielen ihm die Ohren des Königs ein, und er lachte laut: »Hahaha ...«, ganz so wie ein Verrückter. Seine Familie fragte ihn: »Warum lachst du denn? Was hast du denn gesehen?«, dann machte er ganz schnell ein ernstes Gesicht. »Ach, es ist nichts«, tat er ganz unwissend.

Einmal saß der alte Hutmacher mit den alten Leuten aus der Nachbarschaft unter dem großen Baum vor dem Dorf. Sie erzählten sich diese Geschichte, jene Geschichte, da fiel dem Hutmacher wieder die Sache mit den Ohren des Königs ein, er vergaß ganz, daß und was die anderen erzählten, und brach in Lachen aus. Der, der gerade am Erzählen war, wurde ärgerlich, stieß ihn an. »Was lachst du denn plötzlich, unterbrichst meine Geschichte? Was war denn daran so lächerlich?« Fast hätte er den Hutmacher geschlagen, so wütend war er. »Nein, es ist gar nichts«, gleich machte er wieder ein ernstes Gesicht, tat so, als ob nichts gewesen wäre. Der, der die Geschichte erzählt hatte, vergaß sich, als er diese Antwort bekam. »Du bist wohl verrückt!« sagte er, aber selbst da kam dem Alten, der den Hut für den König gemacht hatte, kein Wort über die Lippen. Aber er konnte es sich auch nicht abgewöhnen, vor anderen Leuten plötzlich loszulachen.

So kam es dazu, daß die Leute im Dorf alle, nicht eine Ausnahme gab es, den alten Hutmacher für blöde hielten.

»Wenn er nicht verrückt wäre, dann würde er auch nicht andere Leute so erschrecken, dann würde er auch nicht so lachen!« — aber selbst als er dieses Gerede hörte, schwieg er weiter, niemand wußte, daß er tatsächlich einen Grund hatte für sein Lachen. Das alles nur, weil er fürchtete, der König werde ihn schwer bestrafen, wenn er auch nur ein Wort darüber verlor und das Geheimnis des Königs preisgab. Ganz gleich, was geschah, er wollte niemals darüber sprechen. 

»Unser König trägt in der letzten Zeit eine so große Krone. Er sieht jetzt noch würdiger aus, er sieht wirklich großartig aus!«, so sprach das gemeine Volk, und dem Hutmacher, dem fiel nur gleich ein, daß ja unter der Krone, unter dem Hut die mächtigen Eselsohren steckten, die immer noch länger wurden, und gleich lachte er wieder los. »Hohoho ...«, lachte wie einer, der von allen guten Geistern verlassen ist.

»Sieht so aus, als ob es heute Regen gibt. Da wird der verrückte Hutmacher auch wieder lachen«, so flüsterten die Leute im Dorf und machten sich über den alten Hutmacher lustig. Der aber sprach nicht über das Geheimnis des Königs. Wie gerne wäre er es losgeworden, er konnte es nicht mehr aushalten. Sein Herz quälte ihn, er hatte Angst, daß er am Ende stumm werden könnte. Ganz gleich wem, irgend jemandem mußte er einmal davon berichten, dann würde es ihm ganz gewiß leichter werden ums Herz. »Die Ohren des Königs, das sind Eselsohren!« Ein paarmal versuchte er es hinauszuschreien — aber es kam ihm nicht über die Lippen. Nur weil er nicht wußte, was alles mit ihm geschehen konnte, falls er sprach.

Der Hutmacher hielt tapfer seinen Mund. Wieder vergingen einige Jahre. Er dachte, daß er bald sterben müßte. »Ob ich nicht kurz vor dem Ende nur einmal davon sprechen soll? Wenn es nur einmal heraus ist, wie leicht werde ich mich dann fühlen!« Er dachte sich: >Ach, es gibt sicherlich für einen Menschen nichts Schlimmeres als etwas, das man sagen möchte, nicht aussprechen dürfen!< Wenn er das nur einmal herausbringen könnte: »Die Ohren des Königs, das sind Eselsohren!«, dann, meinte er, wäre der größte Wunsch, den er in seinem Leben noch hatte, erfüllt. Doch selbst wenn er den anderen, dem er das erzählte, um Verschwiegenheit bitten würde — gewiß war, daß sich die Kunde rasch verbreitete, auch des Königs Eselsohren mußten früher oder später davon hören. So schwieg er, auch wenn es noch so schwer war. Die Tage vergingen, immer qualvoller wurde es für ihn. Eines Tages nach dem Abendessen wollte er noch ein wenig frische Luft schnappen, ging hinaus und spazierte auf einem Bergpfad, der durch einen Bambushain führte. Der Wind wehte durch den Hain, es wisperte und flüsterte ringsum. Als er das hörte, kam ihm ein guter Einfall. »Wenn ich es jetzt herausschreie, wird es niemand hören!«, er schaute sich nach allen Seiten um, keine Menschenseele war zu sehen. »Es muß sein. Wenn ich hier noch so laut schreie, es wird sicher keine Folgen haben.« Den einen Satz, den er nie auszusprechen gewagt hatte, jetzt und hier wollte er ihn loswerden. Die Hände legte er an den Mund, damit es noch lauter tönte, schrie in den Bambushain: »Die Ohren des Königs, das sind Eselsohren!« Kaum hatte er es herausgebracht, war auch schon sein Herz locker und froh. Dieser eine Satz, der ihn so lange gequält hatte! Ganz leicht fühlte er sich, er hatte eine schwere Last abgeworfen. Beschwingten Schrittes wandte er sich nach Hause, hüpfte und sprang. »Ach, wie leicht ich bin! Ach, wie frei ich bin!« Bald darauf starb der alte Hutmacher ganz friedlich.

Aber im Bambushain tat sich etwas ganz Sonderbares. Immer, wenn der Wind dort wehte, flüsterten die vielen Bambusrohre: »Die Ohren des Königs, das sind Eselsohren!« Immer wieder war das zu hören, wirklich eigenartig. Die Leute, die das zufällig als erste hörten, die meinten noch, sie müßten sich verhört haben. Aber immer mehr Menschen hörten es, die Kunde breitete sich im ganzen Land aus, und schließlich erfuhr auch der König davon.

Für ihn war es ein großer Schreck. »Mein Geheimnis ist doch bekannt geworden!« Was ihn aber am meisten erstaunte, war, daß ein Bambushain sein Geheimnis verraten haben sollte. Er konnte es einfach nicht begreifen. Seinen Ministern befahl er, dorthin zu gehen und den Bambushain sorgfältig zu durchsuchen.

Gleich brachen sie auf. Aber tatsächlich, es war nur der Wind, der diese Stimmen verursachte: »Die Ohren des Königs, das sind Eselsohren!« — die Minister hörten es auch. Sie durchsuchten alle Ecken und Enden des Bambushains, aber nicht einmal der Schatten eines Menschen, geschweige denn ein Mensch selbst, war zu finden.

Sie kehrten zum Palast zurück und berichteten dem König über das Ergebnis ihrer Suche. Der war ganz unglücklich. »Was sagt ihr da? Ist das wahr? Da bleibt nichts anderes übrig, als den Bambushain dem Erdboden gleichzumachen!« — wie er befahl, wurden die Bambusrohre ausgerissen, nicht eines blieb übrig. Mit dem Bambushain verschwanden auch die Stimmen.

Später aber wuchs an dieser Stelle ein Pfefferbaum, und auch in diesem Pfefferbaum waren die seltsamen Stimmen zu hören: »Die Ohren des Königs, das sind Eselsohren!« Immer, wenn der Wind wehte, konnte jeder es hören, ganz genauso wie früher im Bambushain. Als der König das erfuhr, wollte er auch diesen Baum fällen lassen, aber im ganzen Land gab es niemanden mehr, der nicht schon davon gehört hätte. Und, wie die Menschen so sind, von da an glaubten sie in jedem, der große Ohren hatte, einen König zu sehen!