Märchen aus Korea by tr.Hans-Jürgen Zaborowski - HTML preview

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85. Die Katze mit dem Trauerhut




Ein Mann, der hatte ein kleines Kätzlein, das zog er auf und mochte es gern. Am Morgen und am Abend ließ er es neben seinem Eßtisch sitzen und fütterte es mit Fleisch und Reis. Weil die Katze immer so gefüttert wurde, kam sie ganz dicht an den Tisch ihres Herrn und wartete, bis der ihr etwas gab. Vergaß er sie mal, dann bettelte sie: »Yaung! Yaung!«, und was sie dann bekam, das fraß sie und war zufrieden.

In einem Jahr wurde der Herr plötzlich krank, schwer krank. Ein paar Monate lang rief er Ärzte aus allen Gegenden herbei, schluckte ihre Arzneien, aber keine hatte irgendeine Wirkung. Zwar konnte er auch allseits gelobte Arzneien berühmter Ärzte versuchen, denen man große Wirkung zuschrieb, aber auch die halfen ihm nicht im geringsten, sein Zustand verschlechterte sich zusehends.

Da erzählte ihm ein Arzt: »Es gibt keine Arznei, die Eure Krankheit heilen kann, außer einer, aber die ist sehr schwer schnell zu beschaffen. Wenn Ihr die einnehmen könntet, Ihr wäret gewiß auf der Stelle gesund. Aber, wie ich schon sagte, die ist schwer zu beschaffen«, er machte sich selber Sorgen, man konnte ihn mit den Zähnen knirschen hören.

Der Hausherr drängte ihn: »Was ist denn das für eine Medizin, daß Ihr sagt, sie sei so schwer zu beschaffen? Schnell, sagt, wie sie heißt, sprecht schon!« Darauf der Arzt: »Es ist nichts anderes als — wenn Ihr nur tausend Ratten einnehmt, dann werdet Ihr die Wirkung schon sehen«, das ließ er ihn wissen, dann verließ er das Haus.

Der kranke Hausherr rief seine Familie zusammen, gemeinsam beratschlagten sie, wie man denn tausend Ratten zusammenbekommen könnte. Aber sie hatten keine Hoffnung, das jemals zu schaffen, sie machten sich nur noch mehr Gedanken. In einem waren sie sich einig — wenn man die Medizin nicht beschaffen konnte, mußte der Hausherr wohl sterben.

Die Katze saß dabei und bekam alles mit. Zu sich sagte sie: »Gut, endlich habe ich eine Gelegenheit, alles, was ich bekommen habe, zurückzugeben«, und sprang hinaus. Sie besorgte sich einen Trauerhut. Damit kam sie zurück, setzte den Hut auf und hockte sich vor ein Rattenloch, um zu warten, bis eine Ratte herauskäme.

Nicht viel später ließ sich wirklich eine Ratte blicken, der fiel natürlich gleich die Katze ins Auge, die dort saß. Schnell verschwand die Ratte wieder in ihrem Loch. Unruhig wartete sie ein Weilchen, streckte vorsichtig noch einmal den Kopf aus dem Loch, um herauszufinden, ob die Katze noch da war oder nicht. Diesmal bemerkte die Katze die Ratte, schimpfte gleich los: »Du Kerl du! Selbst einer wie du, der in Erdlöchern versteckt hin und her läuft, müßte doch wissen, daß ich in Trauer bin. Wieso konnte ich bisher noch keinen einzigen von euch Kerlen sehen, der sein Beileid bekundet hat? Wo gibt es denn so was? Wo in der Welt gibt es noch mehr so unhöfliche Kerle? Ihr könnt euch noch so tief in euren Erdlöchern verstecken, ich werde eine Schar meiner Freunde herbeirufen, die sollen mit vereinten Kräften unter euch ein Blutbad anrichten, daß kein einziger von euch übrigbleibt«, so schrie die Katze die Ratte an. Die bekam es mit der Angst, lief zurück, trommelte die übrigen Ratten alle zusammen.

Eine von ihnen, eine würdige alte Ratte, ergriff zuerst das Wort: »Hört mal her! Das mag ein noch so übler Bursche sein, aber er ist in Trauer, da wird er selbst uns kaum Böses zufügen. Aber wenn wir nicht vorsichtig darangehen, wer weiß, ob nicht die Sache schlecht ausgeht für uns. Ich will als erster hinausgehen und der Katze mein Beileid ausdrücken, mal sehen, wie sie sich verhält, dann wollen wir uns wieder treffen, und ich werde euch berichten.« Wie vorher schon saß die Katze mit dem Trauerhut auf dem Kopf vor dem Rattenloch. Es sah gar nicht so aus, als ob sie sich auf die Ratte stürzen wollte. Also nahm sie all ihren Mut zusammen, trat vor, machte eine Verbeugung und bezeugte so, wie es sich gehört, ihr Beileid. 

»Wegen meiner Beschränktheit wußte ich nicht gleich, daß Ihr in Trauer seid, deshalb konnte ich nicht sofort herauseilen, um Euch mein Beileid zu bekunden. Das ist wirklich unverzeihlich. Ich verbeuge mich hundertmal vor Euch, bitte Euch um Vergebung«, und sie warf sich zu Boden. Mit freundlichem Gesicht nahm die Katze die Beileidsbekundungen entgegen, die Ratte war sehr glücklich, schnell kehrte sie in ihr Loch zurück und berichtete dort: »Ihr braucht euch gar keine Gedanken zu machen, geht nur schnell hin, bekundet euer Beileid, und kommt zurück!« Eine Ratte nach der anderen ging hinaus, jede machte eine Verbeugung, die die Katze gerne entgegenzunehmen schien. Aber auf einmal sprach die Katze: »Ihr seid so zahlreich gekommen, daß es schwierig ist, euch einzeln zu danken dafür. Wir müssen einen anderen Weg suchen. Ich weiß nicht, vielleicht klingt es unhöflich, aber könntet ihr euch nicht alle jeweils mit eurer ganzen Familie einmal auf einem großen Platz versammeln, es ist doch besser, wenn ich den Ausdruck eures Beileides von allen auf einmal entgegennehme. Wie wäre das? An welchem Tag, zu welcher Stunde wollt ihr euch alle einmal versammeln?«

Auch den Ratten erschien das viel bequemer, gleich sagten sie zu, und sie gaben diese Nachricht an alle anderen Ratten weiter. Am verabredeten Tag kamen Ratten aus allen Himmelsrichtungen auf dem Platz zusammen, dicht gedrängt standen sie dort.

Längst hatte die Katze ihre Freunde zusammengerufen, die lagen so versteckt, daß niemand sie sehen konnte. Als die Ratten alle versammelt waren, nur darauf warteten, daß die Katze endlich kam, erschien die auch mit dem Trauerhut auf dem Kopf, so, als wollte sie nun die Beileidsbezeigungen aller Ratten entgegennehmen, ganz würdig trat sie auf. Doch da sprangen die übrigen Katzen herbei, fingen an, Ratten totzubeißen, in ganz kurzer Zeit waren ein paar tausend Ratten nicht mehr am Leben.

Die Katze mit dem Trauerhut lief nach Hause, biß sich im Kleid des ersten besten fest, der ihr begegnete. Der dachte zwar, das sei recht sonderbar, aber er folgte der Katze und sah, daß viele tausend Ratten darauf warteten, eingesammelt zu werden.

Wie glücklich war der Hausherr! Der Arzt wurde herbeigerufen, er bereitete die Medizin aus den Ratten — und der Kranke, der genas völlig. So hat eine Katze durch eine List die große Freundlichkeit ihres Herrn vergelten können.