Märchen aus Korea by tr.Hans-Jürgen Zaborowski - HTML preview

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86. Von einem Herrn, der immer nur studierte




In alten Tagen lebte einmal ein Herr, der den ganzen Tag nichts tat als nur studieren. Um die Arbeit im Haus kümmerte er sich nicht ein bißchen. Seine Frau arbeitete für ihn, seine Frau mußte ihn durchfüttern. Sie war mehr als ungehalten darüber. »Wenn man den ganzen Tag nur liest, kann man davon leben?« lag sie ihm dauernd in den Ohren, beschimpfte ihn deshalb. Tag für Tag konnte sie gerade mit knapper Not den Lebensunterhalt verdienen. Sie webte, sie verdingte sich auch als Magd im Haus anderer Leute.

Eines Tages hatte sie Gerste zum Trocknen auf einer Matte ausgebreitet und wollte zur Arbeit aufs Feld gehen. Zu ihrem Mann sagte sie: »Falls es regnen sollte, dann bringt doch die Matte ins Trockne!« und ging fort. Eine Weile später türmten sich dunkle Wolken auf, es sah so aus, als ob gleich ein tüchtiger Regenguß kommen sollte. Tatsächlich, bald fing es an, wie mit Eimern zu gießen, das Wasser in den Flüssen stieg schnell an. Die Frau auf dem Feld wurde klitschnaß, sie eilte nach Hause und hatte nur eine Sorge: »Was mag denn aus meiner Gerste geworden sein?«

Als sie zum Dorf kam und den Bach überqueren wollte, sah sie auf dem Wasser Gerstenkörner vorbeischwimmen. »Das wird doch hoffentlich nicht meine Gerste sein?«, aber wirklich, sie kam nach Hause und fand kein einziges Gerstenkorn mehr, nur noch die leere Matte lag naß im Hof. Wie da der Zorn in ihr hochstieg! Sie stürzte ins Zimmer — dort saß ihr Mann, einen Regenschirm in der Hand, Holzschuhe an den Füßen und las immer noch in seinen Büchern. »Was für ein Mensch bist du denn? Immer liest du nur, hilfst mir kein bißchen im Haus. Was ist das für ein Leben mit dir? Du wirst dich wohl niemals ändern!«, sie konnte es nicht mehr länger aushalten, verließ das Haus. Dabei dachte sie sich: >Wenn ich nur in einem anderen Haus Arbeit finde, dann wird es mir besser gehen als hier.< 

Die Zeit verging, ein neuer Bürgermeister sollte ins Dorf kommen. Beide Seiten der Straße waren gesäumt mit Leuten, die ihn willkommen heißen wollten. Die Frau ging mit einem Wassertopf auf dem Kopf zum Brunnen, um Wasser zu schöpfen. Auf dem Weg zurück ins Dorf traf sie auf den Zug, in dem der neue Bürgermeister ins Dorf geleitet wurde. Sein Gesicht kam ihr irgendwie bekannt vor, sie betrachtete es sich genau — es war ihr Mann, dem sie davongelaufen war! Der Schreck fuhr ihr in die Glieder, dennoch trat sie auf ihren Mann zu. »Mein Gemahl, wie seid Ihr denn zum Bürgermeister geworden?« fragte sie mit rotem Kopf. »Mach, daß du wegkommst! Wenn du wieder meine Frau sein willst, dann mußt du schon das Wasser in deinem Topf auf die Straße gießen und dann den Topf noch einmal damit füllen!« So machte er ein für allemal Schluß mit ihr.