Märchen aus Korea by tr.Hans-Jürgen Zaborowski - HTML preview

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87. Hallaktungi




In alten Tagen lebten zwei Witwen in Nachbarhäusern, beide hatten keine Kinder. Sie machten sich deshalb große Sorgen. Eines Tages sprachen sie miteinander über ihr Schicksal. Sie entschlossen sich, Buddha um ein Kind zu bitten, und sie versprachen einander, sie wollten, falls die eine einen Knaben, die andere ein Mädchen zur Welt bringen sollte, die beiden Kinder miteinander verheiraten. Vor Buddha knieten sie nieder, beteten um ein Kind — und ihre Gebete wurden erhört, beider Leib gesegnet. Als die Monde sich erfüllten, brachte die Witwe aus dem einen Haus einen Sohn, die andere aber eine Tochter zur Welt.

Die Kinder wuchsen heran, und als sie alt genug waren, verheirateten die beiden Witwen sie miteinander und schenkten ihnen ein eigenes Haus, wo sie leben konnten. Aber der König des Jenseits hatte Befehl gegeben, dem durch die Gnade Buddhas geborenen Sohn der einen Witwe das Amt eines Oberaufsehers über die Bäume und Blumen im Jenseits zu übertragen, er wollte den Sohn holen lassen. Wenn der König des Jenseits befiehlt, muß man gehorchen, und so machte sich das jungverheiratete Paar auf den Weg. Aber die junge Frau erwartete ein Kind, sie konnte nicht so weit laufen, wurde gar schnell müde.

Es war Abend, in der Ferne sahen sie ein Licht. »Liebster, geh du allein, ich kann nicht mehr. Unmöglich schaffe ich den weiten Weg ins Jenseits.« Als er die ach so müde Stimme seiner Frau hörte, entschloß er sich, allein vorauszugehen. Aber auf der anderen Seite konnte er schlecht seine Frau allein zurücklassen. Sie setzten sich auf die Straße. Die Frau meinte: »Das geht doch nicht, den König des Jenseits zu verärgern. Mach dir keine Gedanken um mich, geh schnell, geh!«, er aber wollte nicht auf sie hören. »Warum hast du denn solche Angst vor dem König? Ich kann ja schließlich meine Frau nicht allein auf der Straße sitzenlassen!« Mit entschlossener, fester Stimme entgegnete die Frau: »Gut, dann bring mich dort zu dem Haus, wo das Licht brennt, verkauf mich dort als Dienerin. Wenn ich nur bei Menschen bin, was soll dann schon weiter geschehen?« Er war gar nicht glücklich bei diesem Gedanken, aber so, wie die Dinge nun einmal standen, gab es keine bessere Lösung. Als die beiden das Haus erreichten, verbellte sie der Hund. Der Hausherr schickte seine älteste Tochter nach draußen. Gleich kam sie zurück. »Ein Mann, der auf der Straße vorbeizieht, will uns seine eigene Frau als Dienerin verkaufen. Vater, kauft sie nicht, wer weiß, was das für ein schlechtes Frauenzimmer ist!« berichtete sie dem Vater. Der Hausherr wollte auf seine älteste Tochter hören, blieb ruhig sitzen.

Die Fremden draußen hätten eigentlich schon längst weg sein müssen, aber noch immer kläffte der Hund. Die zweite Tochter wurde hinausgeschickt. Als sie wieder hereinkam, erzählte sie genau das gleiche wie die älteste Schwester. Der Hausherr nickte nur. »Ja, ja!« — doch der Hund bellte weiter, es wurde dem Hausherrn lästig. So schickte er zu guter Letzt auch noch die jüngste Tochter hinaus.

»Vater, ich glaube, wenn Ihr diese Frau als Dienerin kauft, wird es später einmal von großem Vorteil sein. Vater, bitte, kauft die Frau!«, das war es, was die jüngste Tochter dem Vater zu sagen hatte, als sie von draußen zurück kam. Der Vater hatte seine jüngste Tochter am liebsten, und weil sie meinte, es könnte nützlich sein, entschloß er sich, die Frau zu kaufen.

Er rief die beiden, die draußen warteten, herein, bezahlte, was der Mann verlangte. Für die Frau bekam der Mann nur halb so viel wie für das Kind in ihrem Leibe. Das Geld vergrub er an einem Ort, den niemand kannte, dazu legte er die Hälfte eines Drachenkamms und ein halbes Kleiderband. Seine Frau bat er noch: »Wenn du in Not bist, kannst du das Geld sicher gut brauchen. Was unser Kind angeht — solltest du einen Sohn bekommen, nenne ihn Hallaktungi, wenn es ein Mädchen wird, gib ihm den Namen Hallaktaegi.«

Als es Zeit wurde zum Abendessen, stellte man dem Mann und seiner Frau je einen Tisch hin. »Wie man es hier hält, weiß ich nicht, bei uns hat es so was nicht gegeben«, sagte die Frau und setzte sich mit ihrem Mann zusammen an einen Tisch. Als sie mit dem Essen fertig waren, brach er ins Jenseits auf. Für die junge Frau aber begann mit diesem Abend das Leben als Dienstmagd.

Der Hausherr war von Anfang an durch ihre große Schönheit gefesselt, er begehrte sie. Eines Nachts — er hatte es schon lange vorgehabt — schlich er zu ihr in die Kammer. Sie aber blieb kalt, wies ihn ab. »Ich weiß zwar nicht, wie Ihr es hier im Haus haltet, aber bei uns ist es undenkbar, so was zu tun, solange eine Frau ein Kind unter dem Herzen trägt.« Der Hausherr ließ sie in Frieden. »Soll sie mal erst ihr Kind zur Welt bringen ...«, machte er sich Hoffnung. Die Zeit war erfüllt, die Frau kam nieder, brachte ihr Kind zur Welt, und weil es ein Knabe war, gab sie ihm den Namen Hallaktungi.

Bald darauf kam der Hausherr wieder in ihre Kammer, sie aber blieb fest, verweigerte sich. »Bevor mein Kind nicht vier Jahre alt ist, will ich nichts mit einem Mann zu tun haben!« Der Hausherr mußte sich wieder vertrösten, aber die Zeit, die würde schon herumgehen. Als Hallaktungi drei, vier Jahre alt geworden war, kam der Hausherr wieder. Diesmal belehrte sie ihn: »Ich weiß nicht, wie Ihr es hier im Haus haltet, aber bei uns war es ganz unmöglich, daß der Hausherr sich mit einer Magd abgab.«

Das machte den Hausherrn fuchsteufelswild, er befahl, daß die Frau vom nächsten Morgen an tagtäglich hundert Bund Seide weben mußte, und Hallaktungi, der sollte von da an jeden Tag hundert Klafter Holz machen. Die Frau war verzweifelt, Hallaktungi noch viel mehr. Sie heulte vor ihrem Webstuhl, Hallaktungi in den Bergen. Beide schliefen ein, und als sie wieder erwachten, waren da nicht ganz von selbst hundert Bund Seide gewebt, hundert Klafter Holz geschnitten? Und so geschah es hinfort jeden Tag.

Der Hausherr aber, das war ein echter Querkopf. Dem kleinen Hallaktungi gab er einen Sack Reissamen, den sollte er aussäen. Er ging aufs Feld. Wieder weinte er, schlief erschöpft ein. Als er aufwachte, waren die Samenkörner über das ganze Feld verteilt, Pferde und Kühe hatten sie in die Erde getreten, daß der Wind die Samen nicht verwehen konnte. Wie dankbar war ihnen Hallaktungi, erleichtert kehrte er ins Haus zurück. Da plötzlich fiel dem Hausherrn ein, es könnte ja noch zu früh sein, Reis auszusäen, gleich befahl er Hallaktungi, den Samen wieder einzusammeln und zurückzubringen. Der Kleine kam aufs Feld, die Samenkörner lagen längst in einer Ecke zusammen. Das Saatgut, das er mitbrachte, mußte er nachzählen, und ein einziges Samenkorn fehlte. Wieder mußte er aufs Feld, dort hielt eine Ameise das Reiskorn zwischen ihren Beinchen. »Du, Ameise, gib mir das Reiskorn!« — »Das muß ich Hallaktungi geben.« — »Ich bin aber Hallaktungi!« — und gleich gab sie ihm das Korn. Hallaktungi wurde allmählich größer, er wollte wissen, wer sein Vater war. Die Mutter sagte: »Der Hausherr hier ist dein Vater«, er aber glaubte ihr kein Wort. »Wenn der wirklich mein Vater wäre, warum quält er mich dann immer so?«

Eines Tages verlangte Hallaktungi von seiner Mutter, sie solle ihm eine Schüssel Bohnen rösten, die wollte er essen, wenn er zum Holzholen in die Berge ging. Die Mutter aber sprach: »Ich habe keine Bohnen, da kann ich dir auch keine rösten!« — »Mutter, in der Kammer liegen Vorräte für drei Jahre, da werdet Ihr wohl eine Hand voll Bohnen für mich zusammenkratzen können.« Hallaktungi setzte seinen Kopf durch, die Mutter suchte Bohnen für ihn und begann sie zu rösten. Sie war noch bei der Arbeit, als Hallaktungi rief: »Mutter, ein Gast ist gekommen!«, gleich unterbrach sie ihre Arbeit und ging nach draußen. In der Zeit versteckte Hallaktungi ihr den Kochlöffel. Daß ein Gast gekommen war, das hatte Hallaktungi gelogen, die Mutter war gleich zurück. 

Die Bohnen drohten anzubrennen, aber der Kochlöffel war verschwunden. Hallaktungi meinte: »Wenn es keinen Kochlöffel gibt, mußt du eben mit der Hand umrühren!« — und tatsächlich, die Mutter rührte die Bohnen mit der Hand. Da faßte Hallaktungi nach ihren Handgelenken, fest hielt er die Hände in der heißen Pfanne. »Wer ist in Wahrheit mein Vater?« Die Mutter war tief bewegt, wie sehr ihr Sohn zu erfahren wünschte, wer sein Vater war, und sie erzählte ihm endlich alles, was bis da geschehen war.

Kaum hatte Hallaktungi die ganze Geschichte gehört, wollte er auch schon aufbrechen, um den Vater suchen zu gehen. Die Mutter bat er, ihm Kuchen zu bereiten und drei Fuß Seidenstoff zu besorgen. Woher sollte die Mutter drei Fuß Seide bekommen? Doch der Sohn drängte sie allzusehr, mit knapper Not schaffte sie es, die Seide zu bekommen. Die Kuchen teilte er in drei Teile, packte sie in die Seide ein, nahm den halben Drachenkamm und das halbe Kleiderband mit und machte sich auf den Weg ins Jenseits. Er war noch nicht weit gekommen, da bellte ihn ein Hund an, sprang auf ihn zu. Hallaktungi gab ihm von seinen Kuchen, die er eingepackt hatte. Die fraß der Hund auf, dann sprang er vor Hallaktungi her, so, als ob er ihm den Weg zeigen wollte. Sie kamen zu einem Fluß, und als das Wasser Hallaktungi bis zum Fußgelenk stand, fing der Hund wieder an zu betteln. Hallaktungi gab ihm von seinen Kuchen, und der Hund führte ihn weiter, bis Hallaktungi das Wasser bis zur Hüfte stand. Wieder wollte der Hund zu fressen haben, er bekam den Rest der Kuchen, und plötzlich fand sich Hallaktungi im Jenseits wieder. 

Wunderschön war es dort. Kinder saßen an einem Bachufer, spielten miteinander. Hallaktungi stieg auf einen Weidenbaum, riß Blätter ab und ließ sie einzeln den Kindern auf die Köpfe fallen. Die sahen zu Hallaktungi auf, diese frevelhafte Tat, Blätter abzureißen, wollten sie schnell dem Oberaufseher über Blumen und Bäume melden. Zu dem liefen sie, und der hieß sie, den Unbekannten auf dem Weidenbaum herzubringen.

Hallaktungi trat vor den Oberaufseher, verbeugte sich und grüßte ihn höflich. Auf den ersten Blick sah der Beamte, daß der, der da vor ihm stand, sein eigener Sohn sein mußte. Vater und Sohn sahen sich wirklich sehr ähnlich. Der Sohn war wohl gekommen, um ihn, den Vater, zu besuchen. Und als Hallaktungi dann auch noch den halben Drachenkamm und das halbe Kleiderband überreichte, fielen sie sich weinend in die Arme. So glücklich waren beide, daß sie sich endlich begegnet waren, eine ganze Zeit lang saßen sie still da. Dann aber sprach der Vater: »Du darfst nicht hierbleiben, du mußt in die Welt zurückkehren!« Der Oberaufseher pflückte für seinen Sohn einige Blumen — eine Blume des Lachens, eine, die alles zerstören konnte, eine andere, die Fleisch wachsen ließ, eine Blume für langes Leben gab er ihm und eine, die Tote wieder zum Leben erwecken konnte. Als letztes brach er auch noch einen Weidenzweig ab für seinen Sohn. »Als du von zu Hause aufgebrochen warst, hat der Hausherr deine Mutter gefragt, wo du dich versteckt hättest. Wie sehr hat er sie gequält, und als sie dann sagte, sie habe keine Ahnung, hat er sie vor Zorn umgebracht. Der Fluß, den du auf dem Weg hierher überquert hast, das waren die Tränen deiner Mutter.« Der Oberaufseher erklärte seinem Sohn dann, wie er die Mutter wieder zum Leben erwecken konnte, und er hieß ihn, unbedingt die jüngste Tochter des Hausherrn zu heiraten.

Hallaktungi verließ das Jenseits. Als er in das Haus zurückkam, wo er geboren war, versammelten sich alle dort und wollten ihn töten. »Bevor ich sterbe«, bat Hallaktungi, »erfüllt mir wenigstens einen letzten Wunsch. Die jüngste Tochter, die soll Wasser holen gehen für mich!« Kaum war sie aus der Tür, holte Hallaktungi die Blume des Lachens heraus. Gleich brach die ganze Familie in Lachen aus, wollte schier gar nicht mehr aufhören. Die Blume, die alles zerstören konnte, setzte dem ein Ende, tot stürzten sie zu Boden.

Die jüngste Tochter kam mit dem Wasser zurück. »Wo habt ihr den Leichnam meiner Mutter versteckt?« fragte Hallaktungi sie. Weil man die Mutter einfach in einen Sumpf geworfen hatte, waren nur noch die Knochen übrig von ihr. Zuerst holte Hallaktungi die Blume hervor, die Fleisch wachsen ließ, streute ihre Blätter über die Knochen — gleich wuchs wieder Fleisch auf den Knochen. Die Blume, die langes Leben verlieh, und die, die Tote wieder zum Leben erwecken konnte, streute er dann über den Körper, strich mit seinem Weidenzweig darüber und sprach: »Mutter, warum schlaft Ihr so lange?«

Er hatte das noch nicht ausgesprochen, schon stand die Mutter auf. »Ach, ich muß wirklich lange geschlafen haben«, streckte sich und reckte sich. Hallaktungi aber heiratete die jüngste Tochter, und zusammen mit ihr und seiner Mutter führte er ein langes und glückliches Leben.