Märchen aus Korea by tr.Hans-Jürgen Zaborowski - HTML preview

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89.  Das seltsame Tüchlein




Es lebte einmal ein gutmütiger alter Mann. Eines Tages war er gerade dabei, einen Gebirgspaß zu überqueren, als es dunkel wurde. Irgendetwas folgte ihm, blieb ihm dicht auf den Fersen, das sah aus wie ein Apfel. Erst kümmerte er sich gar nicht darum, ging einfach weiter seines Weges, doch mit jedem Schritt kam ihm das verdächtiger vor, und so wollte er es sich doch einmal genau betrachten. Aber es war schon dunkel, er konnte einfach nicht erkennen, was das wirklich war.

Er bekam es mit der Angst zu tun; mit dem Stock, auf den er sich beim Gehen stützte, schlug er feste darauf. In dem Augenblick machte es: »Khaeng, khaeng!«, und, was für eine Überraschung, was für ein Schreck — war das nicht ein roter Fuchs, der sich aus dem Staub machte? Ganz durcheinander war der Alte, wie erstarrt blieb er stehen. Da sah er auf dem Kiefernbaum vor sich ein weißes Tüchlein hängen. »Hat das vielleicht der Fuchs hängenlassen?« murmelte der Alte vor sich hin, steckte das Tüchlein in seine Tasche und ging heim. Nach dem Abendessen erzählte er seiner Frau, was ihm am Paß in den Bergen widerfahren, und zeigte ihr das Tüchlein. Nichts war daran besonders, ein ganz gewöhnliches Tüchlein schien das zu sein. Trotzdem, die Sache war seltsam. Mußte nicht, wenn es wirklich das Tuch eines Fuchses war, irgendetwas daran ungewöhnlich sein? Hin und her wendete der Alte das Tuch, schließlich legte er es sich auf den Kopf, aber nichts geschah.

»Was faselt Ihr denn da von einem Fuchs-Tüchlein? Werft es weg, mir gefällt es nicht. Was wollt Ihr denn damit?«, so verdarb ihm seine Frau den Spaß daran. »Ja.« — »Schnell, werft es weg!« — »Ja ...«, immer wieder antwortete der Alte seiner Frau nur: »Ja, ja.«

Er hängte sich das Tüchlein um den Hals, ohne eigentlich so recht zu wissen warum. Doch was war das? Der Alte wurde immer kleiner, war bald nicht mehr viel größer als ein Fuchs. »Ach, du, mein Mann!« — »Weib, liebes Weib!« seufzten beide auf. So schnell ging alles, sie konnten nichts, aber auch rein gar nichts machen. Der Alte wurde so klein wie eine Ameise. Er wußte nicht, was zu tun war. Doch als er sich dann besann, wurde ihm klar, daß nur das Tüchlein die Ursache sein konnte. Schnell band er das Tüchlein wieder los — gleich wurde er, so wie man einen Luftballon aufbläst, größer, genauso groß, wie er vorher gewesen war.

»Was ist das für ein seltsames Tüchlein! Ich hatte schon Angst, so klein wie eine Ameise leben zu müssen!«, und er atmete auf. Seine Frau war völlig sprachlos, den Mund weit offen, brachte sie doch kein Wort heraus. Wirklich, eine seltsame Sache.

Zu der Zeit machte man sich im ganzen Land große Sorgen. Der König des Nachbarlandes, ein böser Mensch, war gekommen, um mit dem König unseres Landes Paduk zu spielen, und unser König hatte schon dreimal gewonnen. Darüber war der König des Nachbarlandes so ärgerlich. »Heute habe ich verloren. Wir wollen einen anderen Tag verabreden, dann wollen wir ein anderes Spiel machen. Wer dann verliert, der muß ohne ein weiteres Wort sein halbes Land abtreten.« Unser König wollte da nicht mitmachen, aber er konnte schlecht ablehnen, mußte wohl oder übel zustimmen. Später bereitete ihm das großes Kopfzerbrechen. Das Spiel, das sie verabredeten, war das — jeder der beiden Könige sollte an seinem Körper irgendetwas Kostbares verstecken, der andere mußte erraten, was das war.

Im Nachbarland gab es damals einen hervorragenden Wahrsager, der alles, auch wenn es noch so verborgen war, ganz genau vorhersagen konnte. Bei uns aber gab es so jemanden nicht — das war es, was unserem König Kopfzerbrechen machte.

Der Alte mit dem Tüchlein des Fuchses erfuhr auch von diesen Dingen. Kaum hatte er es gehört, schon lief er in den Palast und suchte den König auf. Ein weißes Tuch um den Kopf, der mußte ihm wohl weh tun, lag der König da. Der Alte machte ihm Hoffnung. »Ich will Euch zum Sieg verhelfen!« — »Wenn du mir wirklich helfen kannst, dann werde ich dir ein sehr hohes Amt übertragen.« Wie freute sich der Alte da! Er verließ den Palast, band sich sein Tüchlein um, verwandelte sich in eine Fliege und flog ins Nachbarland.

Auch dort sprachen alle Leute nur von einem — von dem Wettkampf der beiden Könige. Daß der Wahrsager dort alles so genau vorhersehen konnte, hatte seinen Grund darin, daß er in seiner Achselhöhle einen großen schwarzen Leberfleck hatte. Das fand der Alte gleich heraus, er flog ins Haus des Wahrsagers, versteckte sich in dessen Zimmer unter der Bettdecke. Der Wahrsager, der war bei einem Fest im Palast gewesen, hatte zu viel Wein getrunken. Berauscht kam er nach Hause zurück, fiel auf sein Bett und schlief gleich ein. Der Alte kam aus seinem Versteck, betrachtete sich die Achselhöhle genau, dort gab es wirklich, groß wie eine Bohne, einen schwarzen Leberfleck. Den schnitt der Alte schnell mit einem Messer heraus und machte sich davon. Schnurstracks eilte er zum Königspalast dieses Landes, ins Zimmer, wo der König schlief. Noch kleiner machte sich der Alte, klein wie eine Ameise.

Als der König sich am nächsten Morgen ankleidete, schlüpfte der Alte in die königlichen Gewänder und verbarg sich dort. Auf seiner Brust versteckte der König, wie verabredet, eine Kostbarkeit und ging zum Grenzfluß.

Die beiden Könige standen einander gegenüber. Der König mit dem bösen Herzen wollte zuerst erraten, was unser König bei sich trug. Doch der Wahrsager, der danebenstand, brachte kein Wort heraus, zitterte vor Angst. Der König unseres Landes hatte ein kleines goldenes Messer an seinem Körper versteckt, aber der andere König, der konnte es nicht erraten. Dann kam die Reihe an unseren König, er sollte raten, was der andere bei sich trug. Der Alte war schon längst aus den Gewändern des Nachbarkönigs herausgekrochen, zu unserem König geeilt. »Herr König, er hat einen kleinen Wassertropfer aus Porzellan bei sich, wie man ihn beim Pinselschreiben braucht«, stieß er keuchend hervor. So konnte unser König die Hälfte des Nachbarlandes gewinnen, und der Alte, der bekam für seine Verdienste ein hohes, ein ganz hohes Amt.