Märchen aus aller Welt: Korea by Tr. Albrecht Huwe - HTML preview

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Der Mann mit der Beule




Es war einmal vor langer Zeit in den Bergen ein alter Mann mit einer faustgroßen Beule, die hing ihm am Halse. Nicht nur beim Essen störte sie ihn, sondern sie behinderte ihn auch während der Arbeit. Und weil sie darüber hinaus für die anderen scheußlich anzusehen war, wollte er sie gerne abreißen. Doch wie sollte er das bewerkstelligen?

Jeden Tag pflegte der alte Mann tief in den Bergwald zu steigen, um Holz zu sammeln. Er kehrte die herabgefallenen Blätter zusammen und häufte einen großen Stapel Holz auf. Als er dieses Mal mit seiner Last den Berg herabkam, wollte die Sonne schon untergehen. Vor Einbruch der Nacht mußte er noch sein Haus erreicht haben, also machte er gro¬ße, schnelle Schritte. Aber der Weg war steil und gefährlich, und seine Bürde so schwer, daß ihm ein wenig später die Knie vor Schwäche zitterten. Er rang nach Atem, der Schweiß rann ihm von der Stirn, er konnte nicht weiter. Not¬gedrungen setzte er sein Holz ab und hockte sich an den We¬gesrand.

»Nun, da es hier in den Bergen dunkel geworden ist und ich nicht mehr nach Hause gelange, werde ich wohl hier drau¬ßen die Nacht verbringen ...«

Erschöpft holte er tief Atem und schaute sich nach allen vier Richtungen um. Da erblickte er eine windschiefe Hütte.

»Richtig! Dort werde ich um ein Nachtlager bitten.« Eilig ging er darauf zu.

»Hallo! Ist hier jemand?« Wie sehr er auch rief, er erhielt keine Antwort. Die Hütte war verlassen.

Nachdem der alte Mann eingetreten war, legte er sich nieder. Doch war das Zimmer leer, und es kam ihm so unheim¬lich vor, daß er keinen Schlaf fand. Um sich die Angst zu ver¬treiben, begann er seine liebsten Lieder zu singen. In den stillen Bergen hallten sie noch lange nach. Das gab ihm wie¬der neuen Mut, und ein Lied schloß sich ans andere.

Plötzlich aber drangen menschliche Stimmen an sein Ohr: »Hier ist es! Hier...«

»Wer kann das nur sein, mitten in der Nacht?« fragte sich der alte Mann mit der Beule, hörte auf zu singen und richtete sich ruckartig auf.

Im nächsten Augenblick öffnete sich auch schon die Tür, und große, stark behaarte Kobolde traten ein, denen an den Stirnen Hörner wuchsen. Draußen vor der Tür stand noch eine Schar Kobolde, die lärmten und laut lachten. Wie Espenlaub zitterte der alte Mann vor Furcht. Jedoch faßte er sich ein Herz und beschloß, sich nicht in ihren Bann schlagen zu lassen. Er täuschte vor, sie nicht eintreten zu sehen, und sang unverzagt seine Lieder.

Die Kobolde horchten auf, hörten eine Weile zu und fingen dann an, fröhlich zu tanzen. Der alte Mann mit der Beule sang ohne Unterlaß, und die Kobolde hüpften dazu im Takte. So verstrichen die Stunden und der Morgen graute.

>Nun bin ich gerettet!< dachte der alte Mann und sang er-leichtert weiter. Indessen wollten sich die Kobolde nicht zu-rückziehen. Was, wenn es hell würde, und sie sich nicht mehr rühren konnten?!

>Ist das nicht sonderbar?< verwunderte sich der alte Mann. Just in diesem Augenblick trat ihr Anführer vor ihn. »Groß-väterchen, schon seit alten Zeiten haben wir Menschen sin¬gen hören, aber Ihr seid der erste, der es so gut versteht. Wie ist das Euch nur möglich? Wo in aller Welt kommt Eure schöne Stimme nur heraus?« fragte er.

»Wo sonst, als aus meiner Kehle ...«, gab ihm der alte Mann zur Antwort, worauf der Anführer dessen große Beule be-trachtete.

»Ich vermute, daß sie aus jener Beule ertönt. Wir hören Lieder sehr gerne, drum verkaufe sie uns. Wir werden dich gut bezahlen«, drängte er ihn.

Der alte Mann war aufs höchste überrascht. »Ja aber«, wollte er wissen, »wie kann man die Beule von meinem Hals wegbringen?«

Da lachte der Kobold schallend auf und erwiderte: »Das braucht Eure Sorge nicht zu sein. Wenn Ihr sie nur verkauft, so entfernen wir sie Euch ohne Schmerzen.«

»Wenn es so ist, dann verkaufe ich sie.«

Der Kobold schüttete einen großen Beutel voller Gold, Sil¬ber und Edelsteine vor ihm aus und hatte, ehe man sich’s versah, die Beule an seinen Hals gezaubert.

Der alte Mann betastete die Stelle, an der sich die Beule be-funden hatte, und war überglücklich. Er legte den Schatz¬beutel auf seine Holzlast und kehrte heim. Wie staunten die Leute im Dorf, als sie den alten Mann nun ohne Beule sa¬hen. Sie beneideten ihn, denn er war darüber hinaus durch die Schätze über Nacht unermeßlich reich geworden.

Es wird erzählt, daß auch im Nachbardorf ein Greis lebte, der eine Beule hatte. Als dieser von dem Glück seines Lei-densgefährten vernahm, wollte er sich ebenso seiner Beule entledigen und reich werden. Also suchte er den anderen auf und erkundigte sich nach jeder Einzelheit. Der alte Mann erzählte ihm ausführlich.

Am gleichen Tage noch ging der Greis aus dem Nachbardorf in die Berge. Mittags legte er sich in den Schatten eines Baumes und hielt ein Schläfchen. Als es dunkel geworden war, trat er in die Hütte und sang Lieder.

Es war finstere Nacht, als er die Kobolde endlich näher-kommen hörte. Der Greis freute sich, daß alles so wunsch-gemäß verlief. Er machte seinen Mund weit auf und sang aus voller Kehle.

Alsbald traten die Kobolde ein, sie spaßten und scherzten so sehr, daß sie sich vor Lachen krümmten. Freudig begrüßte der Mann die Kobolde.

»Du kannst aber wirklich gut singen. Wo kommt denn deine Stimme heraus?« fragte ihr Anführer wieder.

»Nun, aus dieser Beule. Ihr könnt sie bekommen, ich ver¬kaufe sie.«

»Was sagst du da? Gestern wußte ich noch nicht Bescheid und wollte sie durchaus erwerben. Aber von dir lasse ich mich jetzt nicht mehr betrügen, du Lump!« schalt er. »Hier, damit du noch besser singen kannst, bekommst du meine Beule dazu.«

Kurzerhand hängte der Kobold seine Beule dem Mann aus dem Nachbardorf an dessen Hals, so daß dieser jetzt zwei hatte.

Er war ausgezogen, sich von seiner Beule zu befreien und große Schätze zu gewinnen, statt dessen aber hatte er sich nur eine weitere Beule eingehandelt. Er war sprachlos und brach in heftiges Schluchzen aus.