Märchen aus aller Welt: Korea by Tr. Albrecht Huwe - HTML preview

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Der Jäger von den Diamantbergen




Es war einmal ein Jäger, der war ein Meisterschütze. Legte er das Gewehr nur an, so fielen vorbeifliegende Vögel einer nach dem anderen herunter. Er konnte sein Handwerk der¬art gut, daß er deswegen berühmt war. Kamen Fasane, Rehe oder was auch immer ihm vor die Flinte, waren sie verloren. Einen Fehlschuß tat er nie.

Zu seiner Zeit wimmelte es in den Diamantbergen von Ti¬gern. Sie schlichen in die Dörfer herunter und hielten Men¬schen und Vieh in Schrecken. Niemand aber fand sich be¬reit, der Tigerplage ein Ende zu setzen. Von den Jägern, die in die Diamantberge gezogen waren, kehrte nicht einer wie¬der zurück. Darum gab es verständlicherweise keinen, der die wilden Katzen erschießen wollte.

Da trat der berühmte Jäger auf, von dem gerade eben er¬zählt wurde. Nun war die Stunde gekommen, wo er sein überlegenes Können einmal zeigen wollte.

Es dauerte nicht lange bis er die Diamantberge erreicht hat¬te. An deren Fuß stand eine einsame Hütte. Dort brachte er einen Tag zu und teilte dem Großmütterchen, das darinnen lebte, stolz mit, daß er die Tiger samt und sonders erlegen wollte.

»O je! Habt auch Ihr vor, Euch von den Tigern fressen zu lassen? Das Leben ist kostbar, drum kehrt schnell um.«

»Was sagt Ihr da? Ihr meint, es gäbe auch nur einen Tiger, der durch meine sichere Kugel nicht umfallen würde?«

»Solange ich denken kann, habe ich viele Jäger in die Berge hineingehen sehen, keinen aber hinaus.«

»Großmütterchen, dieses Mal werdet Ihr es aber erleben. Schon bald trete ich wieder vor Euch, mit einem Tiger auf dem Rücken.«

Laut lachte der Jäger und drang immer tiefer in die Berge hinein. Aber es vergingen zehn Jahre, es wurden zwanzig daraus, ohne daß er heimkam.

Einst, als der Jäger ausgezogen war, hatte er einen Sohn zurückgelassen. Dieser war nun selbst erwachsen, und er konnte beinahe so gut schießen wie sein Vater. Er wußte den Grund für das Ausbleiben seines Vaters und schwor sich selbst einige Male, eigenhändig den Tiger zu fangen, der sei-nen Vater getötet hatte. Als er zwanzig Jahre alt geworden war, sagte er seiner Mutter, daß auch er in die Diamantberge gehen werde.

»Dein Vater war ein berühmter Jäger und wurde von einem Tiger zerrissen. Meinst du, du könntest etwas ausrichten?« gab die Mutter ihm zu bedenken.

»Macht Euch keine Sorgen. Ich werde den Vater rächen und bestimmt wiederkommen.«

Seine Mutter konnte ihm die Bitte nicht abschlagen und wil-ligte schließlich darin ein. »Tue, was dein Herz dir befiehlt. Aber dein Vater konnte so gut zielen, daß er nur die Henkel des Wasserkrugs herabschoß, den ich vom Brunnen herbei-trug.«

Er hörte auf die Worte seiner Mutter und übte, wie es sein Vater getan hatte. Nach drei Jahren war er wirklich in der Lage, nur die Henkel des Kruges zu treffen. Nun glaubte er, ausgelernt zu haben, und wollte sich auf den Weg machen. Da fragte ihn seine Mutter: »Kind, meinst du, es reiche schon aus? Dein Vater vermochte auf zehn Meilen durch ein Nadelöhr zu schießen«

Der junge Mann nahm sich auch diese Worte zu Herzen und begann aufs Neue. Als abermals drei Jahre verstrichen wa¬ren, gelang es ihm, so gut mit dem Gewehr umzugehen, wie es sich seine Mutter vorgestellt hatte. Also mußte sie ihn schweren Herzens auf den Weg schicken.

Der Sohn war außer sich vor Freude und erreichte die Hütte am Fuß der Diamantberge, wo sein Vater damals einen Tag ausgeruht hatte. Wie dieser führte auch er recht große Re¬den.

»Sprecht nicht derartig«, schalt ihn laut das alte Mütterchen in der Hütte. »Euer Vater verstand es, mit dem Rücken zu jenem hohen Götterbaum, mitten durch dessen oberstes Blatt zu schießen. Trotzdem sahen wir ihn niemals wieder. Mit Euren Fähigkeiten seid Ihr gewiß verloren.«

Auf der Stelle drehte sich der junge Mann um und schoß. Indessen fehlte er weit. Noch einmal übte er drei Jahre lang. Danach traf er alles, was sich hinter ihm befand. Da wandte sich das alte Mütterchen mit den Worten an ihn: »Ihr seid doch nicht der Ansicht, das genüge? Euer Vater durch¬bohrte mit seiner Kugel eine Ameise, die zehn Meilen ent¬fernt dahinkroch...«

Drei Jahre vergingen, ehe er auch dies gelernt hatte. Nun erst gab ihm das alte Mütterchen seine Wegzehrung und hieß ihn in die Berge gehen.

Mit dem Gewehr in der Hand durchstreifte er die Diamant-berge, an deren zwölftausend Gipfeln vorbei.

Einmal saß er auf einem mächtigen Felsblock und ruhte sich aus. Da kam ein Mönch vorüber, der aus einer Feuerstein-pfeife rauchte. Der junge Mann ließ den Mönch nicht aus den Augen. Dabei fiel sein Blick auch in dessen Mund. Wie erstaunte er! Feuerrot war das Zahnfleisch, und Tigerzähne steckten darin. Es gab keinen Zweifel für ihn. Er legte an und drückte ab. Alsbald löste sich der Mönch in Luft auf, und vor dem Jägerssohn stürzte ein gefährlicher Tiger zu Boden.

Er zog weiter. Nach einer geraumen Weile begegnete er ei¬ner alten Bäuerin, die auf einem Acker neben dem Weg Kartoffeln ausgrub. Weil ihn gar so hungerte, bat er nur um eine einzige Knolle.

Die Alte aber antwortete: »Dafür habe ich keine Zeit«, und ließ ihn unfreundlich stehen. Er versuchte es ein zweites Mal.

»Ich habe gesagt, daß ich dafür keine Zeit habe. Vorhin wurde mein Mann von einem bösen Mordbuben getötet. Es tut mir leid, Euch gebe ich nichts, und dabei bleibt es!« fuhr sie ihn grob an und sprang vor ihm wie toll herum.

Wie er auf diese harten Worte unschlüssig dastand, machte er eine schreckliche Entdeckung. Ragte nicht unter dem Rock der Alten ein Tigerschwanz hervor? Hier durfte er nicht lange überlegen und schoß auf sie. Dieses Mal veren¬dete ein ausgewachsenes Tigerweibchen.

Kurze Zeit nachdem er den Kartoffelacker verlassen hatte, tauchte eine junge Frau vor ihm auf, die einen Wasserkrug auf dem Kopfe fortschaffte. Sie kam ihm wie gerufen, denn ihm klebte vor Durst die Zunge am Gaumen. Er sprach sie um einen Schluck Wasser an.

»Ich bin jetzt sehr in Eile, drum kann ich Euch nichts zu trinken geben. Gerade eben hat mich die Nachricht erreicht, daß meine Schwiegereltern wegen eines üblen Burschen ihr Leben verloren haben. Ich muß schnell weiter, um sie zu rä-chen«, sagte sie und drehte sich hastig um.

Doch der Jäger wurde argwöhnisch und schaute ihr noch einmal nach. Und siehe da, auch unter ihrem Rock zeigte sich ein Tigerschwanz. Rasch feuerte er seine Büchse ab. Er hatte ein sehr junges Tigerweibchen erlegt.

Auf seinem Weg war er um einige Bergvorsprünge gebogen, als ihm ein junger Mann kopflos entgegenlief.

»Ihr da, haltet ein! Plaudert ein wenig, ehe Ihr weitergeht.«

»Wie könnte ich an ausruhen denken? Soeben habe ich ge-hört, daß meine Eltern und auch mein Weib gestorben sein sollen. Ich muß eilen, sie zu retten.« Ohne sich umzuschau¬en, rannte er keuchend davon.

Der Jäger ahnte, daß dieser junge Mann ebenfalls ein Tiger war und betrachtete seinen Rücken. In der Tat, er hatte ei¬nen Schwanz. Der Jäger schoß, und ein weiterer garstiger Tiger fiel tot auf den Rücken.

Wo er auch hingelangte, traf er auf diese abscheulichen Tie¬re, und er frohlockte, daß er sie alle niederstreckte.

Es vergingen einige Tage. Der Jäger hatte gerade die Spitze einer Bergnase erreicht, als er auf einen Tiger stieß, der vor ihm hockte und so groß wie ein Haus war. Dieser riß sein Maul weit auf und knurrte, als wollte er ihn verschlingen. Flugs ergriff der junge Mann seine Flinte und schoß in den Rachen des Untiers, das sich aber davon in keiner Weise be¬eindruckt zeigte. Es fing nur mit den Zähnen die Kugeln ab und spuckte sie danach wieder aus. Unverdrossen gab der Jäger einen Schuß nach dem anderen ab - doch ohne Erfolg, bis er seine ganze Munition aufgebraucht hatte. Da wußte er nicht aus noch ein und war in großer Verlegenheit. Der Tiger machte einen Satz und hatte ihn auch schon verschluckt.

Der Jägersmann fiel durch den Schlund in den weiten Ma¬gen, in dem es so finster wie in einer Höhle war. Die Kno¬chen früher verschluckter Menschen lagen herum. Er unter¬suchte, ob vielleicht auch sein Vater hier wäre und entdeckte tatsächlich das Gewehr, auf dem dessen Name stand. Trüb¬selig dachte er: »Statt meinen Vater gerächt zu haben, bin ich selbst von dem gleichen Tiger gefressen worden.«

Während er traurig dasaß, sah er neben sich eine Jungfrau liegen, die ihr Bewußtsein verloren hatte. Leise berührte er sie. Sie atmete noch. Erst eine lange Zeit später erwachte sie aus ihrer Ohnmacht. Da erzählte sie ihm, daß sie die Tochter des obersten Ministers aus der Hauptstadt sei. Tags zuvor hatte sie sich abends an einem klaren Bächlein ihre Haare gewaschen, als der Tiger sich auf sie gestürzt hatte.

Nun überlegten die beiden, wie sie aus diesem Gefängnis entweichen konnten. Nach einer Weile zog der Jäger aus seinem Beutel ein kleines Messer hervor und begann, dem Tiger ein Loch in den Bauch zu schneiden. Dieser verspürte dadurch plötzlich einen heftigen Schmerz, und er suchte den Bären auf, der Arzt war.

»Der Leib tut Euch weh? In diesem Fall müßt Ihr reichlich Obst essen, dann wird es besser«, brummte der Bär.

Darauf nahm der Tiger Äpfel und Birnen, was ihm gerade vors Maul kam, zu sich. In seinem Bauch türmten sich daher die Früchte wie in einem Obstladen. Die zwei Menschen aber stärkten sich daran, und mit frischen Kräften schnitten sie weiter durch das Fleisch des Tigers. Weil ihn der Magen nach dem Obst noch stärker peinigte, begab er sich abermals in die Behandlung des Bären.

»Wieviel Obst ich auch esse, es tritt keine Linderung ein. Im Gegenteil, ich verspüre heftigere Stiche. Was ist das?«

»Hm, das ist wirklich eine sonderbare Sache. Trinkt doch einmal Quellwasser, allerdings nicht zu wenig. Frisches Wasser tut ja bei Bauchschmerzen gut.«

Also schleppte sich der Tiger zur Quelle und stürzte das Wasser hinunter. Als die beiden nun sogar erquickendes Wasser trinken konnten, erholten sie sich wieder vollkom¬men und machten sich mit noch größerem Eifer an ihre Ar¬beit. Da verließ den Tiger die Kraft. Er stürzte und war tot.

Endlich traten der Jäger und die Jungfrau aus dem Bauch des Tigers ins Freie. Der Jäger zog dem Untier kunstgerecht das Fell ab, schaffte es in die Hauptstadt und reichte es dem Vater der Jungfrau als Geschenk dar. Da freute sich der Va¬ter sehr und gab ihm seine Tochter zur Frau.

Mit zäher Geduld war es dem Jäger gelungen, Vergeltung für den Tod seines Vaters zu üben, und er war sogar der Schwiegersohn des ersten Ministers geworden. Er holte seine Mutter, die in einem Dorf lebte, und die alte Frau aus der Hütte in den Diamantbergen zu sich, und sie lebten alle lange, glücklich und zufrieden.