Märchen aus aller Welt: Korea by Tr. Albrecht Huwe - HTML preview

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Die Perle




Einst lebten irgendwo ein älterer und jüngerer Bruder zu-sammen. Sie waren bettelarm. Für die Leute machten sie Botengänge, oder sie gingen in den Wald, sammelten Holz, um es zu verkaufen, und so ihren Unterhalt für den nächsten Tag zu bestreiten.

Aber sie besaßen auch etwas Wertvolles, was die anderen nicht hatten. Dies war ein warmes, aufrichtiges Herz. Wenn sie Leid ertragen mußten, dann trösteten sie sich gegensei¬tig. Freuten sie sich, so taten sie es miteinander.

Eines Tages verließen die beiden Brüder ihre Hütte, um auf dem Markt im Nachbarort einzukaufen. Der Weg dorthin führte über einen großen Bach. Als der ältere Bruder ihn überquerte, entdeckte er etwas, das im Wasser blinkte und blitzte.

»Was könnte das sein?« fragte er.

»Wirklich, das möchte ich auch wissen«, antwortete ihm der jüngere Bruder, indem er sich neben ihn stellte.

Die beiden wunderten sich und sahen zu der Stelle hin. Da rief der jüngere Bruder plötzlich: »Ist es nicht eine Perle?«

Der ältere ging hin und holte das funkelnde Ding aus dem Wasser. In der Tat, es war eine wunderschöne Perle. Die Geschwister suchten den Eigentümer, aber es fand sich nie-mand, dem sie gehörte. Also steckten sie den kostbaren Ge-genstand sorgsam in einen Beutel, erledigten ihre Einkäufe und kehrten heim. Dort nahmen sie die Perle wieder heraus und betrachteten sie eine Weile, um sie dann in ein Kästchen zu legen. Es verging nun kein Tag, an dem sie die Perle nicht anschauten.

Doch einmal, als der ältere Bruder das Kästchen öffnete, staunte er über alle Maßen. Bis an den Rand war es gefüllt mit Goldkörnern. Schnell lief er zu seinem Bruder, um es ihm zu erzählen und ihm den Schatz zu zeigen. Einerseits mutete es sie seltsam an, andererseits wußten sie sich vor Freude nicht zu lassen.

Tags drauf hob der jüngere Bruder zuerst den Deckel des Kästchens ab. Auch dieses Mal war es voller Goldkörner. Und hernach leuchtete ihnen immer, wenn sie das Kästchen auftaten, neues Gold entgegen. So wurden sie bald sehr reich.

»Dank der Perle brauchen wir nun keine Not mehr leiden.«

»Da hast du recht.« So sprachen sie, hatten sich lieb und hal-fen den bedürftigen Menschen.

Die beiden Brüder wuchsen heran und wurden groß. Sie wollten sich nun das Vermögen teilen. Von dem Geld, das sie bisher bekommen hatten, erhielt jeder genau gleich viel. Nur die Perle ließ sich nicht halbieren. Wie sehr sie auch nachdachten, es fiel ihnen keine Lösung ein.

Da sagte der ältere Bruder als erster: »Behalte du die Per¬le.«

»Nein, verehrter Bruder, weil sie so kostbar ist, müßt Ihr sie haben.«

»Trotzdem wäre es besser, wenn du sie nimmst.«

»Aber nein. Die Perle ist ein großer Schatz, darum soll sie Euch gehören.«

Weil sie auf diese Weise zu keinem Ergebnis kamen, be-schlossen sie, die Perle dorthin zurückzulegen, wo sie sie in dem Wasser gefunden hatten. Es blieb ihnen wohl keine an-dere Möglichkeit, da ein jeder sie nicht selbst besitzen woll¬te. Noch am gleichen Tag gingen die Geschwister zum Bach. >Liebe Perle, nun müssen wir voneinander Abschied neh¬men. Lebe wohl!< So mochten sie wohl gedacht haben, als sie die Perle an die alte Stelle zurücklegten.

Indessen trauten sie ihren Augen kaum, denn dort funkelte eine zweite Perle, die der anderen genau glich. Die Brüder waren so verstört, daß sie glaubten, sie seien gar in der Ge¬walt böser Kobolde.

»Was soll das bedeuten?« fragten sie sich und sahen scharf hin. Überrascht und auch erfreut holte der ältere Bruder die Perle aus dem Wasser. Eine sah so aus wie die andere. Weil jeder der Brüder nicht an sich gedacht hatte, und weil sie die Perle an ihren alten Platz legen wollten, konnten sie nun zwei ihr eigen nennen. Jeder erhielt eine. Die Brüder halfen weiter den bedauernswürdigen Menschen und lebten glück¬lich.

Was wäre aber geschehen, wenn sie um die Perle gestritten hätten?