Märchen aus aller Welt: Korea by Tr. Albrecht Huwe - HTML preview

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Der zerbrochene Spiegel




Es war ein junger Bauer, der hatte etwas in der Hauptstadt zu erledigen. Er belud seinen Esel mit dem Gepäck und wollte aufbrechen, als sein Weib, eine hübsche, junge Frau, noch einen Wunsch vortrug.

»Mann, da Ihr in die Hauptstadt geht, bringt mir bitte einen gebogenen Kamm mit. Mein jetziger ist so abgenutzt, daß ich ihn nicht länger gebrauchen kann.«

»Ja, das ist weiter keine Schwierigkeit«, stimmte der Bauer bereitwillig zu.

»Nein, ich kann mich auf Euch nicht ganz verlassen. Auch wenn Ihr gerne zustimmt, so seid Ihr mit Euren Gedanken doch meist woanders.« Sie trat in das Zimmer und holte ih¬ren alten, gebogenen Kamm heraus.

»Mann, Ihr habt dafür keinen Sinn. Drum schaut Euch die¬sen hier genau an. Sieht er nicht aus wie die Mondsichel da am Himmel?«

»Hm, er gleicht ihr tatsächlich. So sehr, daß man fast nicht weiß, was der Mond und was der Kamm ist«, wunderte sich der junge Bauer, als er die Mondsichel mit dem Kamm ver-glich, den ihm seine Frau entgegenhielt.

»Also, wenn Ihr in der Hauptstadt seid und den Kamm ver-gessen haben solltet, dann denkt doch bitte an den Mond, der dort am Himmel steht. Vergeßt es nicht und kauft mir den Kamm bestimmt.«

»Gut, ich habe verstanden. Ich brauche nur zum Mond hinaufschauen, dann weiß ich schon.«

»Kehrt wohlbehalten zurück.«

»Auf Wiedersehen. Ich komme bald.«

Der junge Bauer setzte sich auf den Esel und machte sich auf den Weg in die Hauptstadt, die er nach ungefähr zehn Tagen erreicht hatte. Dort besorgte er einige Tage lang seine Ge-schäfte und wollte sich anschließend nach Hause begeben.

»Aber halt! Mir scheint, es fehlt noch eine Sache!« Er stand am Wegesrand, schloß die Augen und überlegte. Doch wie sehr er auch grübelte, er erinnerte sich nicht mehr daran, was seine Frau ihn gebeten hatte zu kaufen.

»Ei! Das ist schlimm!« Er neigte den Kopf von der einen Seite zur anderen und sann noch angestrengter nach. Zufäl¬lig blickte er zum Himmel hinauf.

»Richtig! Das ist es!« rief er erfreut aus und schlug dem Esel auf den Rücken.

Am Himmel stand der runde Mond. Als der Bauer sein Haus verlassen hatte, war dieser noch zunehmend gewesen, jetzt indessen leuchtete ein runder Vollmond über ihm.

»Stimmt! Sie sagte mir, ich solle nur den Mond anschauen, wenn mir der Name des Gegenstandes entfallen wäre.« Hals über Kopf lief er in einen Laden. »Hallo! Ich will etwas kau-fen.«

»Ja, womit kann ich Euch dienen?«

»Gebt mir bitte ein Ding, das die Form des Mondes dort hat und das die Frauen benutzen.«

»Hahaha! Ihr seid wirklich ein spaßiger Mann! Was könnte das nur sein, das so aussieht wie der Mond und das die Frauen brauchen?« Der Ladenbesitzer betrachtete den Mond und zerbrach sich den Kopf. »Jetzt weiß ich es!« Als ob er nun endlich im Bilde sei, zog er einen runden Spiegel hervor.

»Was ist das?« erkundigte sich der Bauer.

»Das ist ein kostbares Ding, in dem man sein Gesicht be-trachtet und das Spiegel genannt wird. Seht her! Ist er nicht beinahe mit dem Mond zu verwechseln? Und da er oben¬drein für die Frauen ist, handelt es sich zweifellos um den Gegenstand, den Ihr sucht.«

»Ja, da habt Ihr wohl recht!« Der junge Bauer nahm den Spiegel, verglich ihn noch einmal mit dem Mond und staun¬te. Er kaufte ihn und kehrte heim.

Seine Frau hielt den Spiegel in der Hand, und weil er schön aussah, schaute sie hinein. Sie war zwar ein wenig ent¬täuscht, daß sie nicht den gewünschten Kamm bekommen hatte, aber auch der Spiegel war hübsch und ganz neu für sie. Doch wie erschrak sie, als sie sich einmal genauer betrachte¬te.

»Ach! Nun hat er mir schon den Kamm nicht besorgt, um den ich ihn so dringend gebeten habe, warum nur bringt er dann eine fremde, junge Frau mit?« schimpfte sie und lief erbost umher.

»Was keifst du denn so?« fragte ihre Schwiegermutter und trat aus ihrem Zimmer.

»Ich habe wirklich allen Grund dazu. Mutter, schaut Euch das bitte an. Er sollte mir einen Kamm mitbringen, statt des¬sen liest er irgendwo so eine junge Frau auf, die so dürr wie ein trockener Fisch ist.«

Die Schwiegermutter nahm den Spiegel entgegen und hielt ihn vors Gesicht. »Du bist aber sehr voreilig! Schau erst ge¬nau hin, bevor du redest! Das ist doch keine junge Frau, sondern eine alte, so häßlich wie ein Lumpenfetzen«, sagte sie und gab den Spiegel ihrem Enkel.

Dieser hatte gerade einen Reiskuchen in der Hand. »Was? Da steckt doch ein Kerl darin, der aussieht, wie eine verhut¬zelte Quitte und mir meinen Reiskuchen stehlen will«, schrie er. »Du Lump«, nannte er sein Spiegelbild und drohte ihm mit der Faust, worauf dieses natürlich das gleiche tat.

»Ich möchte ihm einen Hieb versetzen«, dachte der Enkel und schlug mit der Faust in den Spiegel.

Da aber zerbrach er in tausend Stücke und war verloren.