Märchen aus aller Welt: Korea by Tr. Albrecht Huwe - HTML preview

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Die Fee und der Holzhacker




Es war einmal vor langer Zeit.

Ein Holzhacker fällte in den Bergen gerade einen Baum, als plötzlich ein Hirsch mit einem weit ausladenden Geweih keuchend herbeigesprungen kam.

»Ach Onkel, ein Jäger stellt mir nach, um mich zu erschie¬ßen. Bitte versteckt mich schnell«, flehte der Hirsch, nach Atem ringend. Geschwind verbarg der Holzhacker ihn unter dem Holzhaufen, den er zusammengetragen hatte.

Kurze Zeit darauf erschien der Jäger, in der Hand ein Ge¬wehr und einen Patronengürtel um den Leib. »Habt Ihr nicht einen Hirsch, der ein verzweigtes Geweih trägt, vor¬übereilen sehen?« fragte er den Holzfäller kurzatmig.

»Ja, habe ich. Vor einem Weilchen verschwand er hinter je¬nem Hügel dort«, antwortete er scheinbar bereitwillig und wies auf die Anhöhe.

»Habt vielen Dank«, rief der Jäger und rannte in die ihm ge-nannte Richtung.

Erst als er nicht mehr zu sehen war, kroch der Hirsch aus dem Holzhaufen hervor. »Onkel, ich bin Euch von ganzem Herzen dankbar und weiß nicht, wie ich Eure Wohltat ver¬gelten kann«, sagte er und neigte dankend den Kopf.

Der Holzhacker strich über das Fell des Hirsches und wehrte freundlich ab: »Ach, das habe ich doch gerne getan. Ganz gleich, ob ein Mensch oder Tier mich um Hilfe bittet, so vermag ich sie ihm nicht zu verweigern.«

»Dennoch, Ihr habt mich aus höchster Not errettet. Für Eure Güte werde ich Euch etwas erzählen, das Euch sehr verwundern wird.«

»Was meint Ihr damit?«

»Es handelt sich um folgendes. Vom Gipfel dieses Berges, auf dem wir stehen, seht Ihr auf einen Teich mit spiegelkla¬rem Wasser. Jeden Abend steigen Feen vom Himmel herab, um dort zu baden. Versteckt Euch am Ufer. Wenn die Feen ihre Kleider abgelegt haben, nehmt das Kleid einer Fee an Euch und versteckt es. Dann kann diejenige, der es gehört, nicht mehr in den Himmel fliegen. Sie wird Euch als Eure Frau folgen. Aber es gibt etwas, das Ihr Euch gut merken müßt. Ihr dürft, auch wenn die Fee Eure Gemahlin ist, ihr das Kleid erst zurückgeben, wenn sie Euch drei Kinder ge¬boren hat. Falls sie es nämlich vor der Zeit erhält, wird sie für immer in den Himmel zurückkehren und ist für Euch verloren. Habt Ihr alles gut verstanden?«

»Ja«, nickte der Holzhacker. »Ich bin Euch sehr dankbar, daß Ihr mir einfachem Mann etwas so Schönes mitgeteilt habt.« Der Holzfäller wartete nun die Dunkelheit ab, begab sich zu dem Teich, den ihm der Hirsch bezeichnet hatte, und stellte sich hinter einen Baum. Es verstrich einige Zeit. Der Mond, der hinter den Wolken gesteckt hatte, trat hervor und strahlte ein mildes Licht aus. In diesem Augenblick ertönte eine zarte Musik, und die Feen, die schneeweiße Kleider trugen, schwebten vom Himmel herab. Sie lachten: »Oh, das Wasser ist so rein und klar. Wie erfrischend wird es sein!« Zum Baden zogen sie ihre Kleider aus und sprangen ins Wasser, daß es spritzte und platschte.

Der Holzhacker dachte, nun sei der richtige Augenblick ge-kommen, und nahm das schönste der Kleider.

Wenig später hatten die Feen ihr Bad beendet und gingen ans Ufer, um sich anzuziehen. Eine nach der anderen erhob sich in die Lüfte, bis die Wolken sie den Blicken entzogen. Nur eine saß ohne Kleid und weinte traurig.

Da sprach der Holzhacker, der hinter dem Baum kaum zu atmen gewagt hatte, mit beruhigender Stimme zu ihr: »Warum weint Ihr, Feenjungfrau?«

Wie der Holzfäller in dieser Weise fragte, antwortete sie un¬ter noch schmerzlicheren Tränen: »Mein Kleid ist fort, ohne das ich nicht in den Himmel hinauf kann.«

Er tröstete sie und indem er ihr versprach, das Kleid zu su¬chen, führte er sie heim.

Nach einiger Zeit hielten sie Hochzeit. Die Jahre vergingen und sie gebar zwei Kinder. Da sie und ihr Gemahl sich ein¬ander liebten, hatte sie die Ängste und Sorgen der vergan¬genen Tage vergessen.

Einmal sagte sie lachend zu dem Holzhacker: »Ich wußte wirklich nicht, daß das Leben auf der Erde so schön ist.«

»Das habt Ihr mir zu verdanken. Weil ich Euer Kleid einst versteckte, widerfährt Euch nun solches Glück.« Vor lauter Freude hatte er sich vergessen und das Geheimnis ausge-plaudert.

»Was? Ihr wart es?«

»Ja, ich allein habe Euer Kleid genommen.«

Da lachte sie laut auf: »Wie konnte ich damals nur weinen!? Aber das sind ja längst verflossene Zeiten. Würdet Ihr mir einmal mein Kleid zeigen?« fragte sie ihn.

Der Holzfäller, der ein gutes Herz besaß, gab der Fee das Kleid. Kaum hatte sie es jedoch angelegt, als sie eine große Sehnsucht nach dem Himmel überkam. Sie umfing jedes ih¬rer beiden Kinder mit einem Arm und flog mit ihnen zum Himmel hinauf. Alles war in einem einzigen Augenblick ge¬schehen.

Der Holzhacker war sprachlos vor Entsetzen. Unverzüglich machte er sich indessen auf den Weg, um bei dem Hirsch Rat zu holen. Er berichtete ihm von seinem Unglück.

»Darum legte ich Euch ans Herz, ihr das Kleid erst zu geben, nachdem sie drei Kindern das Leben geschenkt hat«, meinte der Hirsch. »Doch habt Ihr noch eine Möglichkeit«, fuhr er fort. »Geht heute Nacht zu jenem Teich. Weil Ihr damals ein Kleid verstecktet, steigen die Feen zum Baden nicht mehr herab, sondern schöpfen mit einer Kürbisschale das Wasser und holen es sich in den Himmel. Wenn die Kürbisschale heute herabgelassen wird, klettert in sie hinein, und Ihr ge¬langt in den Himmel.«

Wie der Hirsch ihn geheißen hatte, begab er sich zu dem Teich und verbarg sich im Wald. Da erblickte er die Kürbis¬schale, die sich vom Himmel senkte. Sogleich setzte er sich in sie hinein und wurde mit ihr in den Himmel gehoben. Dort angekommen, traf er seine Fee wieder, hatte viel Spaß mit seinen Kindern und lebte glücklich.