Märchen aus aller Welt: Korea by Tr. Albrecht Huwe - HTML preview

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Die wundersamen Federn




Vor sehr langer Zeit lebte einmal ein alter Mann mit seiner Frau tief in den Bergen.

Sie waren bettelarm und hatten weder Sohn noch Tochter. Der alte Mann ließ Holz verschwelen und gewann so Holz¬kohle, die er auf dem Markt verkaufte. Mit dem Geld, das er dafür bekam, bestritten sie ihren Lebensunterhalt.

Der alte Mann fühlte sich ohne Kinder zutiefst einsam. Auf dem Weg zu den Kohlenmeilern stand ein hoher, bejahrter Baum. Jeden Tag verrichtete der Greis vor ihm ein Gebet: »Erhabener Berggeist, vergeßt uns bitte nicht und laßt auch uns alte, von aller Welt verlassenen Leute sorgenfrei leben.« Und im Haus stellte die Frau für den Berggeist auf einen Stein ein Schüsselchen frischen Wassers und betete dazu tagaus, tagein.

Eines Tages ging der Köhler wieder in die Berge, um Holz zu fällen, und als er jenen Baum erreichte, an dem er vorüber-zukommen pflegte, betete er in gewohnter Weise.

Nach einer geraumen Weile wollte er sich erheben. Indessen lagen unmittelbar neben der Stelle, wo er kniete, eine weiße und eine schwarze Feder, die von irgendwoher geflogen wa-ren.

Der alte Mann verwunderte sich, hob die Federn auf und kam dabei ganz zufällig mit der schwarzen an seine Nase. Doch da geschah etwas Sonderbares. Je öfter er nämlich mit dieser Feder seine Nase streifte, desto größer wurde diese. Der Greis geriet in größtes Erstaunen und weil seine Neu¬gierde erweckt war, versuchte er es nun einmal mit der wei¬ßen Feder. Kaum hatte er mit ihr die Nase berührt, schrumpfte sie langsam ein und nahm am Ende ihre ursprüngliche Gestalt an.

Den alten Köhler mutete dies an wie ein Wunder, und er kehrte mit den beiden Federn nach Hause. Dort wiederholte er das, was er zuvor in den Bergen getan hatte, bei seiner Frau. Diese hielt sich vor Lachen den Bauch, und der Köhler sagte zu ihr: »Frau, bestimmt werde ich viel Geld verdienen, wenn ich mit diesen Federn umherziehe. Hüte du inzwi¬schen das Haus und warte auf mich.«

Am folgenden Morgen verabschiedete sich der alte Mann von seiner Frau und zog von dannen.

Nachdem er eine Weile gegangen war, gelangte er in ein Dorf. Dort hatten sich vor einem großen, ziegelgedeckten Gebäude viele Menschen versammelt, denn es wurde hier ein Fest gefeiert. Er trat in das stattliche Haus ein. Drinnen wurde er freundlich bewirtet, und als er sich sattgegessen hatte, setzte er sich neben den Sohn des reichen Hausherrn. Der Sohn nämlich hielt an diesem Tage Hochzeit.

Der alte Köhler holte nun seine schwarze Feder hervor und wischte mit ihr das Ohr des Sohnes, so als hinge daran Schmutz, den er entfernen wolle. Sogleich aber vergrößerte sich das Ohr jäh. Alle, der Hausherr, der Sohn und die gela-denen Gäste, erschraken aufs heftigste. Jeden der besten Heilkundigen des Ortes rief man herbei, allein niemand ver-stand es, eine solche Krankheit zu behandeln.

Da trat der Köhler vor und bekundete, daß er der einzige sei, der den Sohn von dem häßlich mißgestalteten Ohr befreien könne.

»Wenn Ihr die Wahrheit gesprochen habt, dann helft unse¬rem Sohn. Vermöchtet Ihr es nur, so geben wir Euch die Hälfte unserer Reisfelder, die wir besitzen«, versprach ihm der Hausherr und bat ihn inständig.

Der alte Mann hieß die Anwesenden sich zurückziehen und führte den Sohn in eine Stube. Dort befeuchtete er mit Was¬ser dessen Ohr. Hernach ging er besondere Kräuter pflükken, mit denen er es einrieb.

Er dachte bei sich, daß es die Leute möglicherweise befrem¬den könnte, wenn er zu schnell diese Krankheit heilte. Des¬halb ließ er sich absichtlich viel Zeit. Erst nachdem einige Stunden verstrichen waren, nahm er die weiße Feder und begann das Ohr langsam mit ihr zu streichen. Alsbald ge¬wann es seine richtige Größe zurück.

Der Hausherr bedankte sich dafür in einem fort und schenkte dem alten Köhler die Hälfte seiner Reisfelder.

Der Köhler verkaufte die Reisfelder und kam mit einer gro¬ßen Summe Geldes wieder nach Hause, wo ihn sein Weib erwartete. Später errichtete er ein großes Haus, das nicht mit einfachem Stroh, sondern mit Ziegeln gedeckt war. Die beiden lebten nun so gut, daß sie niemandem etwas zu nei¬den brauchten.

Aber wenn der Mensch faul wird und untätig dasitzt, kommt er nur auf dumme Gedanken, und törichte Streiche sind die unausbleibliche Folge.

»Wie groß in aller Welt mag diese schwarze Feder das Ohr wohl machen?«

So dachte der alte Köhler, rief seine Frau zu sich und legte die schwarze Feder an ihr Ohr. Da wuchs und wuchs es, bis es am Ende so groß ward, daß man seine Spitze nicht mehr sah. Schließlich stieß es sogar an das Haus, in dem der Him¬melsherr im Himmel wohnt.

Der Himmelsherr schaute verwundert hinaus, um zu sehen, was sein Haus erschüttert hätte. Er bohrte ein Loch durch das Ohr und band es fest. Nun jedoch hatte die alte Frau hef¬tige Schmerzen. Schnell vertauschte ihr Mann die schwarze mit der weißen Feder. Aber weil der Himmelsherr das Ohr angebunden hatte, gab es keine Möglichkeit, daß es herun¬terkommen konnte. Statt dessen stieg der ganze Körper der Frau immer weiter nach oben.

Der alte Köhler hielt sich in der Absicht, das Ohr seiner Frau wieder zu verkleinern, an ihr fest und berührte unablässig mit der weißen Feder das Ohr.

Innerhalb weniger Augenblicke schwebten beide in der Luft. Als der Himmelsherr dies gewahr wurde, empfand er Mitleid und löste den Knoten. Kaum hatte er dies jedoch ge¬tan, fielen der alte Köhler und seine Frau auch schon hoch oben vom Himmel auf die Erde herab und verschieden.