Die Kantaten Johann Sebastian Bachs zum Sonntag Jubilate by Axel Bergstedt - HTML preview

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Trost und Zuspruch durch Christus

In der Kantate 12 wird der Trost schon ganz klar in der Arie "Kreuz und Kronen sind verbunden" deutlich, die bereits oben behandelt wurde. Der Tiefpunkt ist damit überwunden und im folgenden Text wird eine positive Botschaft vermittelt. Dass diese Arie weder im positiven, noch im negativen Sinne besonders herausragt, drückt sich auch übrigens darin aus, dass sie relativ kurz abgehandelt werden konnte.

In der Kantate 103 hingegen bewegt sich der Textdichter erst im Verlauf des 4. Abschnittes, des Rezitativs "Du wirst mich nach der Angst auch wiederum erquicken" in Richtung "Freude". Dieses Wort wird in der letzten Zeile auch wörtlich ausgesprochen. Diese Entwicklung innerhalb dieses kleinen Rezitativs wird schon dadurch musikalisch unterstrichen, dass wir zwar noch in moll beginnen, aber in D-Dur enden. Während der Anfang um das Wort "Angst" durch einen verminderten Akkord, die Parrhesia auf "mich" und auch "Angst" und den auffälligen saltus duriusculus in Form eines Tritonus bestimmt ist, bricht am Ende die Freude in einem langen Melisma sich Bahn. Die unter dem Melisma liegenden regelmäßigen Achtel im Continuo markieren die wiedergewonne Sicherheit aufgrund des Sich-in-Gott-geborgen-Wissens.

In der Mitte des kurzen, aber so prägnanten Stückes heben sich die göttlichen Dinge wie seine Erquickung, Ankunft und Verheißung durch hohe Noten ab, während "meine Traurigkeit" durch tiefe Noten und eine Sekunde zur in einem Tritonus angesprunge- nen Bassstimme gekennzeichnet ist. Über eine letzte, kurze Parrhesia gelangen wir unvermittelt zur Freude.

Das Rezitativ hat ähnlich wie andere Stücke aus dieser Kantate mit 9 Takten eine Zahl, die durchaus absichtlich gewählt sein kann, da sie den Eindruck des in Gott Vollkommenen unterstreicht.

Die Ähnlichkeit zum ersten Rezitativ dieser Kantate ist deutlich. Beide Seccorezitative sind kurz und enden auf den charakteristischen Worten "Schmerz" bzw. "Freude" .Diese Worte werden jeweils mit einem Melisma besonders hervorgehoben. Im Falle der Freude greift Bach auf eines seiner bewährten Mittel zurück, nämlich schnelle Läufe, was neben der Corta seine übliche Figur ist.¹

Mit diesen einfachen, aber deutlichen Mitteln schlägt Bach den erwarteten Bogen vom (stillen) Kummer zur Freude.

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¹ Vergl. Schweizer, u.a. S. 499

In der Kantate 146 soll der gleiche Bogen in einer Sopran-Arie vollzogen werden. Bach setzt auch hier beim stillen Kummer an, indem er in moll bleibt, aber auf allzu leidensträchtige Figuren verzichtet. Stattdessen malt er die bange Grundhaltung, indem er Synkopen und stark wechselnde Rhythmen schreibt, und beschreibt das Abschütteln und Aussäen der einzeln wegtropfenden Zähren bildlich. Das bange Herz ist Gott zugerichtet, denn es erscheint in Takt 19 und 20 mit dem hohen g'', welches analog dem vorhergehenden Sopranrezitativ die Nähe zu Gott symbolisiert. Dieses spiegelt die Haltung des bang-devot erwartenden Gläubigen wieder. Im Bass hingegen hören wir das göttliche Trostwort immer wieder in Form des Seligkeitsrhytmus in die Musik hineingesprochen, welcher uns wieder und wieder die ewige Seligkeit, die auf den Christen wartet, verspricht und damit das Leid tragbar macht. D-moll ist zwar oft auch als dem Dorischen nahestehende kämpferische Tonart gebraucht worden, hier aber treten mehr Charakteristika wie gottergeben, devot oder auch angenehm, groß und zufrieden hervor.

Im zweiten Teil der Da-capo-Arie wird die Herrlichkeit am Tag der seligen Ernte mit einer Tonleiter nach oben als eine Herrlichkeit, die zum Herrn führt, beschrieben. Dabei kann man den Vergleich mit den Tonleitern im Rezitativ der Kantate BWV 12 eingehen.

Schon das die Wendung ankündigende "Jedoch" bringt die aufwärts führende Scala. Bach ist fortan mehr im tonartlichen Bereich der verwandten Dur-Tonarten zu finden, nur beim Wort "Herzeleid" schwappt es wieder nach moll zurück. Dieses Wort bleibt auch ansonsten Garant für ein gewisses Maß des Leidvollen in der Musik, indem Bach es mit absteigenden Seufzerketten o.a. versieht. In Takt 61 landen wir in Dur, und das Zwischenspiel mit seinen schönen Läufen beschwört kurze Zeit schon eine gewisse Freude. Mit dem nächsten Einsatz des Soprans kommt aber erneut Negatives auf, indem die Instrumente mit ähnlichen Wendungen wie im ersten Teil an die bang schwankende Stimmung und die Zähren erinnern. Unentschieden im Ausdruck auch die letzten beiden Melismen: "Gebären" ist weder aufwärts noch abwärts gerichtet, sondern ziemlich unentschieden, wenn auch am Ende ein Versuch des deutlichen Aufwärts gemacht wird¹ und "selig" ist zusätzlich durch Unregelmäßigkeiten im Rhythmus, Chromatik und Dur- moll durchmischter Tonart schon längst keine rein freudige Angelegenheit mehr. Es endet mit einem tiefen Ton und in moll, bevor wir wieder ins Da-Capo einsteigen.

Bach bringt im Großen und Ganzen den vom Text vorgezeichneten Bogen, allerdings mit der Einschränkung, dass bereits am Ende des Mittelteils wieder die Stimmung ins Gedrücktere zurückfällt. Ob die Tatsache, dass die Wiederholung des ersten Teils erneut zur Anfangsstimmung zurückführt, gedeutet werden sollte, mag dahingestellt sein. Da Bach fast alle Arien seiner Zeit entsprechend mit Da-Capo versehen hat, ergibt sich diese Wiederholung der Anfangsstimmung automatisch und muss nicht zu interpretatorischen Rückschlüssen führen. Daher kritisiert Schweizer ja auch mehrfach, dass Bach überhaupt ständig Da-capo- Arien schreibt, ohne dass das anscheinend mit dem Verlauf des Geschehens im Einklang steht. Allerdings erfolgt hier auch kein volles Da-Capo, sondern nur das Orchestervorspiel wird wiederholt. Womöglich hat Bach den Widersinn eines üblichen Da-Capo bemerkt, konnte es aber nicht einfach ganz weglassen.

Die Taktzahl 99 ist schwer zu deuten. Einerseits symbolisiert sie wieder wie die zuvor schon begegnete Zahl 69 das Fehlen des "Einen" zur Vollkommenheit im Gesetz Gottes ( 10 x 10) , andererseits hat sie mit den beiden 9 (= 3 x 3) durchaus göttliche Merkmale. Damit verbindet sie ähnlich wie die noch später auftauchende Zahl 66 das Menschlich- "Tierische" mit dem Göttlichen.

Auf diese Arie folgt erneut ein Rezitativ,