Genugtuung und Freude in den letzten Sätzen der Kantaten
Wenn in der religiösen christlichen Dichtung von Freude die Rede ist, dann ist selten eine wirklich ausgelassene Freude gemeint, wie sie auf einer Geburtstagsparty o.a. anzutreffen ist. Vielmehr hat besonders die nordeuropäische christliche Lehre seit Anbeginn der Christianisierung die ausgelassene Freude als weltlich gebrandmarkt. Ausdrücke wie "heidnische Freude" u.a. sprechen deutlich davon. Erst in jüngster Zeit geht diese Tendenz zusammen mit dem allgemeinen Aufweichen christlicher Grundsätze verloren. Dennoch kann man bis heute feststellen, dass Bemühungen einzelner Theologen, anlässlich des Osterfestes o.a. spontane Freudenbekundungen der Gemeinde abzuverlangen, immer wieder an der zurückhaltenden nordeuropäischen Art scheitern. Derartige spontane und ausgelassene Freude, wie sie in südlichen Ländern nicht nur bei weltlichen, sondern auch zu geistlichen Anlässen zutage tritt, ist in Nordeuropa und den nordeuropäisch beeinflussten überseeischen Ländern wenn überhaupt, dann nur in außerkirchlichen Bereichen anzutreffen. Von daher ist es auch kein Wunder, dass die Freude in unseren Kantatentexten immer nur gedämpft durch den Verweis auf Leid, Tod und Trübsal auftritt. Daher bezeichnete ich diese Art der Freude, die aus dem Trost im Leid hervorgeht und nicht der ausgelassenen, durch keine Einschränkungen geschmälerten Freude entspricht, als Genugtuung. Sie hat etwas mit dem "Sich Abfinden" mit einer Situation zu tun. Aber auch aus dem Triumph über andere, denen es jetzt besser geht, über die ich mich aber später erheben werde, entsteht Genugtuung, obgleich es sich bei diesem Gedankengang um uneigentlich aus christlicher Liebe geborene Berechnungen handelt.
In der Kantate 12 bleibt Bach auch musikalisch so wie der Text in seiner Aussage gemäßigt. Die Freude bricht nicht unverhohlen hervor, sondern es bleibt die aus Berechnung resultierende Vernunft, Zuversicht und Gewissheit im Glauben.
Die Nachfolge im Glauben, sei es im Wohl, sei es im Ungemach und im Zeichen des Kreuzes, steht im Mittelpunkt der Bass-Arie. Hier steht der Bass nicht für Christus, sondern für den gläubigen Christen im allgemeinen, wie er ebenfalls in mehreren Kantaten auftritt.¹ Aus seiner Glaubensgewissheit heraus bekennt er sich zu Christus. Er tritt damit quasi als Vierter zum dreieinigen Gott, der vorangeht, symbolisiert durch die drei kanonischen Stimmen des Orchesters. Die Festigkeit und edle Gewissheit wird nicht nur durch die Wahl eines Basses mit seiner tiefen und festen Stimme, sondern auch durch einen versteckten Hinweis gegeben: Bach formt den Themenkopf der drei kanonisch einsetzenden Orchesterstimmen und den des Solo-Basses aus dem Anfang des Chorals "Was Gott tut, das ist wohlgetan" .Solche Choralzitate, die nur aus einigen Tönen bestehen und oft noch rhythmisch oder in einzelnen Tönen variiert sind, finden sich oft bei Bach, doch der Zufall kann bei einer derartigen Menge sowohl an Bach‘schen Themen als auch an Choralmelodien nie aus- geschlossen werden.² In diesem Falle jedoch scheint die Bewusste Verwendung dieses Chorals allerdings auch noch aus einem anderen Grunde logisch: Der Choral taucht wieder als Schlusschoral auf. So wie Bach in anderen Fällen erst einen Choral in eine Arie hineinblasen lässt, um dann später daraus den Schlusschoral zu machen, kann auch hier eine bewusste Vorwegnahme des Schlusschorals vermutet werden. Damit unterstreicht Bach die Haltung des Christen, der aus der freudigen, edlen Gewissheit, dass es so für ihn das Beste ist, dem Herrn folgt.
Natürlich fällt auch die Verwandtschaft des Themenkopfes mit dem Thema der berühmten Sopranarie aus der Johannespassion "Ich folge dir gleichfalls" auf, deren ersten sechs Töne vom Rhythmus abgesehen mit unserer Arie wie auch dem Choral identisch sind. Doch während die Sopranistin durch den Charakter ihrer Stimme, durch die Koloraturen und auch die Tonart hellere Freude ausstrahlt, bleibt unsere Arie in der ruhigen Gewissheit der Tonart Es-Dur, jener Tonart, die mit dem Orgel-Präludium und der Tripelfuge Es-Dur die den christlichen Glauben wie in einem Glaubensbekenntnis
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¹ In "Wachet auf, ruft uns die Stimme" im Zwiegespräch mit der Seele als fragender Christ, im Weihnachtsoratorium mit "Großer Herr und starker König" als anbetender. Besonders letztere Arie zeigt den gefestigten Gläubigen wie einen König oder edlen Ritter, der aus freier Gesinnung her in gewisser Größe zu seinem Herrn an die Seite tritt. Diesen Grundcharakter können wir bei einem Bass eher als bei einem Tenor wiederfinden, wenn wir Bachs Werk durchsehen.
2 Ein Beispiel, an dem man die Schwierigkeit der sicheren Deutung ersieht, sei hier genannt: Der Choral "0 Haupt voll Blut und Wunden", zitiert im Wohltemperierten Klavier Bd. 2, im ersten Präludium, Takt 23.
oder Katechismus besingende Große Orgelmesse umklammert und in majestätischer Größe, aber doch ruhiger Gelassenheit, preist.
Von Anfang an setzen die Stimmen immer dicht wie in einer Engführung ein. Damit ist die Nachfolge eine besonders enge wie bei einem quasi " in die Fußstapfen des Vorgängers Treten''.¹
Am Ende folgt ausnahmsweise kein Da-Capo, sondern nur eine auskomponierte Andeutung desselben, indem der Bass noch ein einziges Mal