Resümee und Schlusswort
Durch den Vergleich der drei Werke, die drei unterschiedliche, aber doch unter einem gemeinsamen Dach stehende Aussagen zum Thema des Sonntages Jubilate machen, treten typische Züge in einer Plastizität hervor, wie wir sie beim Betrachten eines einzelnen Werkes allein kaum erkennen können. Insbesondere folgende Aussagen können zusammenfassend herausgestellt werden:
1.) Die drei Kantaten weisen große Ähnlichkeiten auf. Diese beziehen sich nicht so sehr auf das Äußere wie Aufbau, Instrumentation und Länge, als vielmehr auf das gemeinsam zugrunde liegende verwendete Material und den Handlungsablauf. Der Handlungsablauf wurde schon in der Textanalyse miteinander verglichen. Da die Musik sich meistens – wie wir gesehen haben - am Text orientiert, gilt für sie das entsprechende. Wollte man für die Musik eine Grafik wie für den Text erstellen, so würde sich ebenfalls derselbe Anstieg vom Negativen zum Positiven in allen Kantaten zeigen: (Grafik ohne Sinfonias und Schlusschoral zu BWV 146)
Abweichungen gegenüber der reinen Textversion (S. 17) gibt es in der Kantate 146 in Strophe 2 und 4. Dadurch wird der Anstieg in der Grafik für BWV 146 noch unkontinuierlicher, als es ohnehin schon in der Textfassung der Fall war. In der Kantate 103 ist der erste Satz vereinfachend zusammengefasst dargestellt. Wollte man der Tatsache Rechnung tragen, dass in dem ersten Orchesterritornell von Freude die Rede ist, wohingegen im Rezitativ des Basses inmitten des ersten Satzes das Leid überhand nimmt, wäre die Darstellung natürlich sehr kompliziert. In der Kantate 103 ist nur der 5. Satz in der Musik etwas positiver angesetzt als im Text, ansonsten haben wir eine gute Übereinstimmung. In BWV 12 sind überhaupt keine Unterschiede in der Grafik gegenüber der Textfassung.
Zahllose Parallelen in der musikalischen Sprache zeigen die Ähnlichkeiten der Aussagen, die zwischen einzelnen Teilen der Kantaten bestehen. Die ganze vergleichende Betrachtung deckt die Gemeinsamkeiten auf und zeigt damit den theologischen Kern, der allen drei Kantaten zugrunde liegt. Bachs zeitlose, im Wesentlichen schon in seinen jungen Jahren ausgeprägte Formulierungsweise erleichtert den Vergleich natürlich ungemein.
2.) Die Homiletik in der musikalischen Substanz des Meisters ist klar zu erkennen. Die Musik zeigt sich als Zwillingsschwester der Predigt, die die Texte auslegt, wie in den Grundgedanken zur Komposition eingangs dargestellt und gefordert wurde. Bach legt dabei sachlich den Text aus, wodurch wir dann auch entweder eine totale Übereinstimmung von Musik und Text haben, oder die Musik interpretiert den Text in eine bestimmte, aber nachvollziehbare Richtung, so dass der Text durch die neue In- terpretation in anderem Lichte erscheint. In beiden Fällen zeigt sich die Musik als eindeutig. Sie ist damit nicht nur weit ab von vielem seicht-musikalischen Machwerk, wie unsere Zeit es auch viel kennt, nämlich Musiken, die man ebenso zu traurigen wie zu fröhlichen Gelegenheiten unterhaltsam, aber ohne inneren Verstand darbieten kann, sondern unterscheidet sich dadurch selbst von vielen Werken ernsthafter Komponisten bis hin zu Haydn und Mozart. Was Schubert über die Liedkomponisten seiner Zeit erhebt, das erhebt Bach über seine Zeit. Er vertont die Texte nicht irgendwie in netter Weise, sondern interpretiert sie. Dadurch wird die Musik nicht nur dem Text gleichberechtigt, was zwar einstens Goethe anscheinend bei Schubert gerade nicht schätzte, wir aber heute idealisieren, sondern darüber hinaus erhebt sich die Musik über den Text und macht ihn erst unsterblich, was sowohl bei Schubert als auch bei Bach klar anhand von Beispielen mit mäßigen oder gar schlechten Texten festgestellt werden kann.
3.) Wir erkennen in allen Kantaten den klaren architektonischen Bauplan. Dieser folgt dem Verlauf des Textes. Dabei gibt es Bezüge von einem Satz zum anderen, die die Einheit der Kantate unterstreichen.
Zusätzlichen Mörtel verwendete Bach dabei, indem er den Bauplan bestimmten Zahlen folgen lässt. Ich habe die Deutungen der Zahlen bewusst zurückhaltend vorgenommen, da Fehleinschätzungen natürlich nie ausgeschlossen werden können, zumal sich sehr viele Zahlen herauslesen lassen, von denen einige immer durch Zufall symbolträchtig sind. Insbesondere habe ich daher z.B. darauf verzichtet, auch noch aus den Quersummen dieser Zahlen Schlüsse zu ziehen usw.
Nur die starke Häufung von Zahlen kann dem Analytiker größtmögliche Gewissheit verschaffen.
Diese Häufung erkennen wir in der Kantate BWV 12, und damit ausgerechnet in der frühesten, während die Forschung sich bisher bei Zahlensymbolik fast nur mit dem Spätwerk Bachs beschäftigte.
Begründet man die 16 Takte der Sinfonia in der schönen, periodischen Geradtaktigkeit, und deutet die anderen Taktzahlen der einzelnen Sätze zahlensymbolisch, läßt lediglich die 62-taktige Arie "Kreuz und Kronen sind verbunden" keine plausible Deutung ihrer Taktzahl zu. Zwar ist es natürlich nicht zwingend, dass alle Sätze in dieser Kantate nach diesem Prinzip konstruiert worden sind, aber gerade auch in dieser Arie haben wir anhand mehrerer Zahlen Anhaltspunkte dafür gefunden, dass Bach uns etwas mitteilen will.
Bach ist ja durch viele Bücher, die er