DIE KÖNIGSTOCHTER UND DER BETTLER
In Kokuryo, dem alten Teilreich von Tschoson[49], lebte einst ein Mann mit Namen Ondal. Sein Gesicht war furchtbar häßlich, und wenn man ihn anschaute, mußte man lachen. Er war aus sehr armem Hause, so daß er von Hütte zu Hütte ziehen und betteln mußte, um sein Leben fristen zu können. Die Leute verspotteten ihn und nannten ihn nur noch den »verrückten Ondal« oder »U-Ondal«. Dieser Name wurde schließlich so volkstümlich, daß man jeden dummen Menschen mit U-Ondal bezeichnete und dieses Wort das Schreckensgespenst für die Kinder wurde. In Wirklichkeit aber war der arme Ondal keineswegs so schlecht und dumm, im Gegenteil, er hatte ein gutes Herz und einen klaren Verstand, und auch alle die kleinen Arbeiten, die er verrichtete, gelangen ihm trefflich. Aber das beachtete man nicht, denn er war eben der »dumme Ondal«.
In jener Zeit regierte über das Land der König Pyongwon[50]. Er hatte eine Tochter, die von Kindheit an die Gewohnheit hatte, viel zu weinen. Ihr Vater schalt sie darob oft und sagte: »Schämst du dich nicht, in einem fort zu weinen? Wenn du nicht aufhörst, gebe ich dich später dem U-Ondal zur Frau!« So sprach der König oft zu der Kleinen, so daß diese schließlich dachte, es müsse so sein.
Nun war die Königstochter sechzehn Jahre alt geworden. Eines Tages kam ein Edelmann namens Ko zum Hof des Königs und begehrte das Mädchen zur Frau. Der König war nicht anwesend und die Königstochter sagte ganz entschieden: »Nein! Es ist der Wille meines Vaters, daß ich dem U-Ondal angehöre und ich will kindlich gehorchen. Unmöglich kann ich eines anderen Frau werden!«
Traurig ging der Edelmann wieder fort; er konnte nicht begreifen, wie man einen verrückten Bettler ihm vorziehen könne.
Als aber der König davon erfuhr, wurde er sehr zornig und sprach zur Tochter: »Wie konntest du so zu einem Edelmanne sprechen? Warum hast du mich nicht gefragt?«
Bescheiden antwortete das Mädchen: »Hundertmal hast du mir gesagt, du würdest mich dem U-Ondal zur Frau geben! Ich glaubte, dies sei dein fester Wille, und bin damit einverstanden.«
Der König wurde darauf noch zorniger und sagte zur Tochter, sie solle sofort den Palast verlassen, er wolle sie nicht mehr als Tochter haben.
Das Kind wurde recht traurig, aber es wußte, daß der Vater es ernst meine, und so entschloß es sich, zu gehen. Vorsichtig nahm es aus seinem Schatze einige Dutzend goldene und silberne Kostbarkeiten heraus, legte sie in ein Tuch, dann ging es allein aus dem Palaste hinaus in die finstere Nacht.
Lange war es umhergeirrt, endlich fand es das Haus des Bettlers. U-Ondal selbst war nicht zu Hause, wohl aber dessen Mutter. Die Königstochter erzählte ihr alles, schließlich sagte die Frau: »Das Aussehen meines Sohnes ist ganz schrecklich und sein Gebaren ganz unverständlich; wie kann ein so vornehmes Geschöpf, wie du es bist, seine Ehefrau werden? Wenn ich dein Gesicht und deine zarten Hände betrachte, so muß ich dich vielmehr für eine Herrin halten. Wie konntest du nur in ein so kleines, unansehnliches Haus kommen? Ich glaube, du hast dich geirrt!«
Doch das Mädchen beharrte dabei, daß es den U-Ondal aufsuchen wolle und fragte, wohin er gestiegen sei. Die Frau erwiderte, der dumme Ondal sei auf die Berge, um Baumrinden abzuschälen.
Nun ging das Mädchen hinaus auf den Berg, um ihn zu suchen. Es dauerte wirklich nicht lange, da kam er daher; auf dem Rücken trug er einige große Bündel sonderbarer Baumrinden.
Die Königstochter redete den Bettler an und erzählte ihm kurzerhand den Grund ihres Kommens. Doch Ondal erwiderte: »So kann ein einfaches Mädchen nicht handeln: wenn du nicht ein verwandelter Fuchs bist, so bist du ein Geist!« Und er trieb sie fort.
Kong-dschu, die Königstochter, weinte; aber sie folgte von weitem dem Bettler und kam endlich wieder ins arme Haus. Dort klagte sie der Mutter Ondals ihr Leid, und diese sagte endlich: »Wenn eine so holdselige Fee wie du immer in meinem Hause weilt, dann kann das Glück nicht ausbleiben! Ich will dir keine Schranken setzen und kann dir nichts befehlen.«
Das Mädchen antwortete: »Es gibt ein altes Sprichwort, das heißt: ,Wenn der Faden auch nur eine Elle Tuch gibt, so muß man ihn weben; und wenn die Hirse auch nur einen Scheffel mißt, so muß man sie stampfen. Nie darf man verzagen!‘ Warum führt ihr immer nur euere Armut und Niedrigkeit an? Ich liebe ja die Armut..«
Die Mutter rief nun ihren Sohn, und dieser erklärte sich nach einigem Widerstreben bereit, auf den Wunsch der Königstochter einzugehen und sie in der Hütte wohnen zu lassen.
Im Hause war nicht ein Sack Reis vorhanden; aber das beherzte Mädchen verkaufte etwas von ihrem mitgebrachten Golde und kaufte dafür nicht nur Eßwaren, sondern auch einige Felder und Einrichtungsgegenstände; ferner überredete sie den U-Ondal, das Reiten und Bogenschießen zu erlernen. »Kaufe aber ja kein Zugpferd, sondern ein richtiges Reitpferd, das wegen Krankheit aufgegeben worden ist!« mahnte das mutige Mädchen.
Ondal ging nun auf die Suche und kaufte billig einige solcher Reitpferde ein. Die Königstochter heilte mit Kräutern und Salben die Krankheiten der Pferde, fütterte sie gut und zog sie auf. Es wurden ganz feurige Rosse. U-Ondal ritt nun täglich aus und übte sich fleißig im Bogenschießen ...
Nun war es im Reiche Kokuryo Sitte, daß am dritten Tage des dritten Mondmonats ein großes Jagen veranstaltet wurde. Es war ein Hochfest für alle. Das ganze Volk durfte sich beteiligen. Der König selbst ritt mit seinen Ministern aus zur Jagd. Auch Ondal bekam von der Königstochter den Auftrag, hinauszureiten. Sein Pferd war weitaus das schnellste. Immer war er zuvorderst und brachte eine riesige Jagdbeute zusammen. Da ließ ihn der König rufen, fragte nach seinem Namen und ehrte ihn gar sehr.
Es geschah nun, daß der Kaiser Tschumu von China ein großes Heer schickte und Kokuryo bekriegte. Der König und seine Soldaten zogen ihnen entgegen, auch U-Ondal war im Gefolge. Er zeichnete sich besonders durch seine Geschicklichkeit und seinen großen Mut aus, tötete viele Feinde, ja selbst der Kaiser wurde geschlagen und mußte sich eilig zurückziehen. Der Sieg war vollständig. Der König berief nun eine Versammlung, um seine tapferen Kämpfer zu belohnen. Einstimmig sagten alle Heerführer, nur dem Mut, der Tapferkeit und dem Verdienste Ondals sei der Sieg zu danken. Darob war der König hocherfreut und sagte: »Dieser ist wahrhaftig mein Schwiegersohn!« Und er umarmte ihn. In der Folge verlieh er ihm den Adel und die höchsten Orden und zeichnete ihn vor allen aus.
Nun stand der Heirat nichts mehr im Wege und diese wurde dann auch mit großem Gepränge gefeiert.
Allen hatte die Sage gefallen. Der Blinde war hocherfreut, denn auch er wußte, daß er durch sein Erzählen von Sagen und Märchen Freude in das schwere Dasein seiner Landsleute tragen und ihnen für Monate Stoff zur Unterhaltung bieten konnte. Er nahm einen Schluck Yaktschu, Reiswein, dann begann er eine neue Geschichte.