Unter dem Odong-baum, Koreanische Sagen und Märchen by Tr.​Andrea Eckardt - HTML preview

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DER KÖNIGSTRAUM

 

Zur Zeit Koryo’s[51] lebte in Sosan in der Provinz Tschung-dschong ein berühmter Knabe, der ursprünglich von adeliger Abstammung war. Der Knabe verlor frühzeitig Vater und Mutter. Sehnsüchtig verlangte er zu studieren, aber er hatte kein ererbtes Vermögen und trotz der großen Verwandtschaft niemand, der ihn in seinem Streben unterstützt hätte. So mußte er notgedrungen auf ein Studium verzichten und in einem fremden Hause Dienst suchen. Obgleich er dort sehr schlecht gehalten wurde, konnte er doch nichts daran ändern und fügte sich in sein Geschick. Beim Holzmachen traf er von Zeit zu Zeit andere Knaben, die ein Kulbang[52] besuchten. Diese bat er, ihm vom Gelernten einiges mitzuteilen, und er lernte, obwohl er noch nicht lesen und schreiben konnte, viele Teile der klassischen Schriften auswendig, da er mit wunderbarem Gedächtnis ausgestattet war und das einmal Gehörte nicht so schnell wieder vergaß.

Eines Tages kam er vom Holzmachen mit einer großen, schweren Last zurück — es war Frühling, der dritte (Mond-)Monat. Am Rande eines Dorfbrunnens, der von einem mächtigen Odongbaum überschattet wurde, machte er halt, um etwas auszuruhen. Seine Kehle war ganz ausgetrocknet und gerne hätte er Wasser getrunken, fand jedoch kein Gefäß zum Wasserschöpfen aus dem tiefen Brunnen. Er wartete eine Weile, und wirklich kam ein Mädchen aus dem Dorfe zum Wasserschöpfen, den Eimer auf dem Kopfe, daher. Der Knabe sprach: »Mädchen, ich habe sehr großen Durst; schöpfe mir, bitte, ein wenig Wasser und gib es mir!«

Das Mädchen ließ den Eimer in den Brunnen hinab, zog ihn mit Bedacht empor, teilte dann das Wasser mit der Hand, um etwaigen Schmutz zu entfernen, füllte eine Kürbisschale voll Wasser, riß aber dann mit einem Ruck der Hand Laub von einem Weidenbaume, der gleichfalls neben dem Brunnen stand, streute es oben auf das Wasser und reichte die Schale dem Jungen hin.

Der Knabe ärgerte sich und sprach: »Mädchen, ich habe doch so furchtbaren Durst, warum streust du denn erst Weidenlaub auf das Wasser, damit ich nicht schnell trinken kann?«

Das Mädchen errötete und antwortete: »Nur deshalb: da dieser Jüngling (= du) so sehr Durst hat, wäre es leicht möglich, daß er sich eine Krankheit zuzieht, wenn ich nur das Wasser eingefüllt und er zu hastig getrunken hätte. So aber muß er das Laub erst wegblasen und langsam trinken. Das also ist der Grund, der mich bestimmte.«

Darauf antwortete der Jüngling: »Da du einen so gewöhnlichen Menschen wie mich in solcher Weise achtest und für ihn so besorgt bist, so will auch ich später, wenn ich einmal eine Ehrenstelle einnehme, dich wieder aufsuchen.« Und er ging freudig von dannen, die schwere Holzlast auf seinem Rücken.

Bei solcher Arbeit wurde er siebzehn Jahre alt, und er hatte noch kein einziges Schriftzeichen gelernt. Er bedauerte dies gar sehr. Wieder dachte er eines Tages — es war der Fünfzehnte des neunten oder zehnten Monats, der Mond stand prächtig klar in tiefer Nacht und ein frischer Wind wehte leise und sachte — an seinen traurigen Zustand, denn als Knecht fühlte er sein Leben nicht ausgefüllt. Er beschwor das Glück und von selbst flossen die Tränen, weil er seine Eltern so bald verloren hatte und er ganz allein war. Lebhaft bedauerte er, nicht lesen und schreiben zu können und völlig ungebildet dahinleben zu müssen. »Ich bin«, sprach er zu sich selbst, »in diesem Zustand nur in fremden Diensten. Wie die Zukunft wird, weiß ich nicht. So ein Menschenleben ist schlechter, als wenn man gar nicht geboren wäre. Man sagt, daß es in Kangwondo im Kumkangsan[53] viele Klöster gibt. Dorthin will ich ziehen, mir die Haare scheren lassen und Bonze[54] werden. Und wenn dies nicht möglich ist, so will ich dort die Schriften und den Geist Kungfutses und Mengtses erlernen und so den von meinen Ahnen überlieferten Beruf fortführen.«

Er nahm daher am nächsten Tage von seinem Herrn Abschied und wanderte fort, ein kleines Bündel auf dem Rücken, einen großen Bambusstock in der Hand, feste Strohsandalen an den Füßen, und kam nach einigen Tagen im Diamantgebirge an. Dort ging er in das Kloster, das Yudschomsa[55] heißt. Als die Insassen den Jüngling sahen, staunten sie, denn seine Gestalt war trotz aller Bescheidenheit offen und seine ganze Erscheinung würdevoll.

Der Vorsteher des Klosters fragte zuerst: »Ich weiß nicht, was Sie für ein junger Mann sind und wo Sie wohnen; aber weshalb kommen Sie in ein so verlorenes Gebirgstal?«

Der Jüngling antwortete: »Meine Wohnung war in einem kleinen Dorf in der Provinz Tschung-dschong. Da lebte ich glücklich und zufrieden, wurde aber frühzeitig von meinen Eltern durch deren Tod getrennt, war als Waisenkind ganz allein und auf mich angewiesen und verdingte mich als Knecht in ein fremdes Haus. Aber ich konnte die Betrübnis meines Herzens nicht länger ertragen. Nun habe ich vernommen, daß das Diamantgebirge unvergleichlich schön sei. Ich bin also hierher gekommen, um mich an der Schönheit der Berge und Wasserfälle, der Wälder und Talschluchten zu erfreuen und die Stille des Klosters zu kosten. Könnte ich mich nicht einige Tage in diesem Kloster aufhalten und an Ihrer Weisheit teilnehmen?«

Der Oberbonze erwiderte: »Es leben hier nur buddhistische Mönche, aber keine Laien. Doch da Sie ein Jüngling ohne jede Heimat sind, so gestatte ich gerne, daß Sie einige Tage bei uns bleiben.«

Der Jüngling fühlte sich zu großem Danke verpflichtet, verneigte sich und setzte sich.

Bald darauf brachte ein Bonze den Abendtisch und sprach: »Dieses Kloster ist weit von jeder Behausung entfernt und die Mönche essen für gewöhnlich nur die einfachen Speisen; darum gibt es keine Fisch- oder Fleischgerichte, und selbst die Fastenspeisen bestehen nur aus Gebirgswurzeln. Nehmen Sie darum, bitte, mit diesem vorlieb!«

Der Jüngling wußte nicht, wie innig er danken sollte. Immer wieder verneigte er sich und sprach: »Mag es auch nur eine Fastenspeise sein, ich bin ja ganz ausgehungert; für mich ist es gewiß eine süße Speise, die ich mit großem Wohlbehagen esse.«

Nachdem er nun den Reis und die oft bitteren Zutaten ganz verzehrt hatte, erzählten sich die Mönche noch dies und jenes bis tief in die Nacht hinein, und richteten dann ein kleines Gemach für ihn her. Er ging in das Zimmerchen, nahm den harten Holzklotz unter den Kopf und schlief bald vor Müdigkeit ein.

Da hatte er einen gar merkwürdigen Traum. Umgeben von zahlreichen Tieren, wurde er selbst ein Schaf, dem der Kopf und der Schwanz fehlte. — Und alle übrigen Tiere verneigten sich vor dem Schaf ohne Kopf und Schwanz und zeigten ihre Verehrung.

Der Jüngling wachte auf. Lebhaft stand noch das Traumbild vor ihm. Er nahm den Verstand zusammen und dachte bei sich: ,Das ist doch ein eigentümlicher Traum, was mag er wohl bedeuten?‘

Als er am nächsten Tag seinen Traum den Mönchen erzählte, berieten sie sich, und obgleich eine Reihe gelehrter Mönche unter ihnen weilte, konnten sie doch das Traumbild nicht deuten. Schließlich schrieb ein alter, erfahrener Mönch das chinesische Schriftzeichen yang[56] auf den Boden und blickte auf die Zusammensetzung des Schriftbildes. Nun erkannte er, daß oben tatsächlich zwei kleine Strichelchen wie die Hörner eines Schafes und unterhalb ein Strich wie der Schwanz des Tieres geschrieben wurde. Er wischte Kopf und Schwanz weg und es blieb das Zeichen Imgun-wang[57] übrig.

Er erschrak heftig, trat vor den Knaben hin, legte den Traum aus und sprach in klaren Worten von der Veranlassung seiner Verehrung: »Der Traum bedeutet nichts anderes: Sie, verehrter Gast, werden in Zukunft noch König werden. Wenn Sie dann in dieser erhabenen Stellung sind, dann gedenken Sie, bitte, auch der Mönche in diesem Kloster.«

Der Jüngling hielt diese Auslegung für höchst merkwürdig und sprach: »Sage so ein Wort nicht zweimal! Ich bin zwar aus vornehmem Adelsgeschlecht entsprossen, jetzt aber, da ich hier bin, ein einfacher Mann. Warum redest du zu mir so ein schwerwiegendes Wort?«

Da der Jüngling die Mönche in dieser Weise zurechtwies, erschraken alle noch mehr und sahen in ihm keinen gewöhnlichen Mann. Dies aber bedrückte ihn und er beschloß, das Kloster wieder zu verlassen, denn hier glaubte er doch keine Ruhe und Muße zum Studium zu bekommen. Er dankte also nochmals den Mönchen für die erwiesene Gastfreundschaft und nahm seinen Weg in die Gegend von Anpyon. Wiederholt mußte er während des Marsches an den merkwürdigen Traum und dessen ebenso seltsame Auslegung denken, aber es fiel ihm zugleich das alte Sprichwort ein: »Wenn es auch vorkommen soll, daß sich Unglücksträume verwirklichen, Glücksträume gehen nie in Erfüllung!« Er dachte daher nicht weiter daran und trat in Anpyon in die Dienste eines reichen Bauern, der ihn gar bald wegen seiner Bescheidenheit und seiner Pflichttreue wie seinen eigenen Sohn liebte und behandelte.

Wieder gingen Jahre dahin. Eines Tages — es war Frühling und bereits sehr heiß — legte er sich in seinem Zimmer auf den Boden, schob ein hohes Polster unter seinen Kopf und war bald in einen festen Schlaf gesunken. Da hatte er wieder einen gar eigentümlichen Traum! Mitten unter zehntausend Häusern waren unzählige gelbe Hähne, schlugen ihre Flügel tuktuk zusammen und riefen ihr »gogio«! Gleichzeitig flatterte ein Phönix hul-hul auf und flog dem Jüngling gerade auf die Brust. Hier nun fielen dem Vogel plötzlich die beiden Flügel und der Kopf ab. Und vom hohen Stadtwall mit seinen blau-rot blühenden prächtigen Odongbäumen herab trieb der Wind Zehntausende von Blütenblättern Stück für Stück gegen ihn heran; schließlich fiel ein hellstrahlender Spiegel aus der Luft vor seinen Füßen herab zur Erde.

Da erwachte der Jüngling aus seinem schweren Schlafe und dachte zuerst an das Sprichwort »tsch’un-kä-il-mongira«[58]. Gleichwohl blieb das Traumbild lebhaft vor seinen Augen, und noch dazu erblickte er plötzlich zu seiner Rechten eine prächtige alte Frau, wie er eine solche noch nie gesehen hatte. Sofort dachte er, das müsse einen besonderen Grund haben und mit dem Traum irgendwie zusammenhängen. Darum wandte er sich an sie und fragte: »Liebe Frau, wollen Sie mich nicht einen Augenblick anhören?« Und als sie nickte, erzählte er den ganzen Traum bis ins einzelne und bat sie zu entscheiden, ob es ein Glücks- oder Unglückstraum sei, und bat weiter, ihm die Zukunft zu enthüllen.

Die Alte antwortete demütig und sprach: »Wie können Sie, ein so großer und geehrter Herr, mich, Ihre Dienerin, eine ungebildete Alte, fragen? Bringen Sie keine Entschuldigungen vor! Ich kann Ihnen nichts anderes sagen als nur das eine, hören Sie aufmerksam zu: gehen Sie eilig fort von hier gegen Westen in das Gebirge Solpongsan[59]. Dort befindet sich eine Höhle, genannt die ,Einsiedlerhöhle‘. Suchen Sie den Einsiedler auf, der darin haust, mit langem faltenreichen Mönchsgewand bekleidet, den Gelehrtenhut auf dem Haupte, und fragen sie ihn um Rat!«

Nach diesen Worten verschwand die Alte.

Der Jüngling erschrak, aber er tat, wie ihm geheißen. Er betrachtete alles als Werk des Himmels, dem man nicht widersprechen dürfe, stand auf, nahm wieder seinen Bambusstab in die Hand, zog die Strohsandalen an seine Füße und wandte sich, ohne den Weg zu kennen, nach Westen, wie ihm die gütige Fee geraten hatte. Er suchte hier und dort, fragte oft und gelangte schließlich, genau wie die Frau es ihm gesagt hatte, auf dem Schneespitzengebirge zu einer einsam gelegenen Höhle, in der ein ehrwürdiger Greis, das lange Mönchsgewand am Leibe und den Gelehrtenhut auf dem Kopfe, auf einer Matte saß, ganz in sich versunken und die Perlenschnur[60] in der Hand, in einem fort »Namu Amida-bul, Kwanseum- posal«[61] murmelte.

Der Jüngling trat ein und rief: »Bonze, warum bist du in diesem so einsamen Bergtal und dieser entlegenen Höhle so ganz allein?«

Der Einsiedler erhob sich sofort, machte eine tiefe Verbeugung und sprach grüßend: »Der kleine Mann (= ich) fragt ehrfurchtsvoll nach Ihrer Gesundheit.« Dann bat er den Gast, indem er auf eine Matte hinwies, sich zu setzen und sprach weiter: »Daß Euer Hochwohlgeboren an diesen einfachen, schmutzigen Ort gekommen sind, verdanken Sie der Gnade und Unterweisung des Himmels!«

Der Gast setzte sich und stellte sich vor als Herr J, der in Anpyon wohne. Hierauf erzählte er dem Einsiedler seinen letzten Traum und wie er alles der guten Alten gesagt habe und fügte hinzu: »Nun bin ich also auf höheren Befehl hierher gekommen und ersuche dich, diesen sonderbaren Traum zu deuten und zu entscheiden, ob es ein Glücks- oder Unglückstraum ist.«

Der Einsiedler entgegnete: »Was der kleine Bonze weiß, ist gar wenig und unbedeutend, gleichwohl will er versuchen, den Traum auszulegen.«

Nun holte er aus einer Ecke ein Tuschanreibegefäß mit gemaltem grünen Drachen, goß aus dem kleinen Wassergefäß, auf das ein gelber Drache gemalt war, behutsam etwas Wasser auf den Stein, ließ den schwarzen Tusch mit goldener Inschrift aus der Hülse gleiten und rieb ihn langsam an, dann nahm er feierlich den kleinen Pinsel aus gelben Marderhaaren, machte ihn mit seinem Speichel weich, breitete bedächtig eine Rolle Papier aus, nahm sie in seine linke Hand und schrieb, um den Traum zu deuten, mit Künstlerhand: »In einem Ort von zehntausend Häusern schlagen die gelben Hähne die Flügel zusammen und schreien ihr gogio!... Die zehntausend Häuser bedeuten das ganze Volk, die Sie als König anerkennen; der gelbe Hahn, der auf hoher Stiege sitzt, bedeutet das Sitzen des Königs auf dem gelben Thron; das kräftige Zusammenschlagen der Flügel sinnbildet eine kraftvolle Regierung. Der klare Hahnenruf endlich will sagen, daß der hehre Name des Königs im ganzen Lande gepriesen wird.«

Nach einer kleinen Pause fuhr er fort: »Der Greif ist unter allen Vögeln der schönste, er ist aber auch der seltenste Vogel. So ist der König unter allen Sterblichen der höchste. Der Greif verliert die beiden Flügel und das Haupt: das ist symbolisch aus den chinesischen Schriftzeichen zu erklären. Lasse von diesem Zeichen pong[62] die beiden äußeren Linien weg und dann auch oben die Krönung, so bleibt deutlich das Zeichen für wang[63] übrig ...« Und mit Nachdruck sprach der Einsiedler weiter: »Du wirst sicher zur Königswürde emporsteigen!... Von der Frühlingsmauer wehen dir viele Blüten entgegen! Die Frühlingsmauer bedeutet die ewig friedliche Hauptstadt, die zehntausend Blüten bedeuten Geld und Reichtum. Der Odongbaum[64] mit seinem wunderbar weichen, hellen Holz und seinen harten Fruchtkernen bedeutet deinen Charakter, mild gegen Schwache, hart gegen Übeltäter. Felder und Wiesen, Flüsse und Berge im ganzen, weiten Reiche werden dein Eigentum!... Wenn endlich ein hellstrahlender Spiegel zu deinen Füßen herabgefallen ist, so weist das hin auf deine weise Regierung, die im ganzen Lande hell strahlen wird, so daß dein Name tausend Jahre lang dankbar und mit Freuden genannt werden wird.«

Der Einsiedler verbeugte sich tief vor dem Jüngling, wie um ihn als seinen zukünftigen König anzuerkennen, dann schwieg er still; der Jüngling aber war tief bewegt, dankte dem gelehrten Greise und sprach: »Wenn alles so eintrifft, wie du sagst, so will ich dir deine Güte reichlich lohnen!« Hierauf erzählte er ihm auch seinen früheren Traum und dessen Auslegung, an den er schon lange nicht mehr gedacht hatte. Dem Einsiedler galt dies als Bestätigung seiner Worte.

Nun nahm der Jüngling dankbar Abschied, griff nach seinem Reisestock, kehrte rüstig nach Hause zurück und übte sich fleißig im Fechten und Bogenschießen.

Es dauerte noch einige Jahre, dann wurde er wegen seiner Geschicklichkeit und seiner Würde im Auftreten hoher Militärbeamter; er unterwies seine Untergebenen und war allgemein beliebt. Er selbst aber vervollkommnete sich und war bald allen überlegen.

Eines Tages brach im Reich der Mitte[65] ein Aufstand aus. Kaum hatte der General J davon gehört, so dachte er: ,Wenn ein Soldat bei gegebener Gelegenheit nicht kämpft, wann soll er dann seinen Beruf erfüllen?‘ Er beschloß also, China zu bekriegen, sammelte Soldaten, rüstete sie aus, unterwies sie und zog mit dem Heere nach Songdo, der Residenzstadt der Könige von Koryo[66]. Dem König teilte er seinen Plan mit und erhielt freie Hand für sein Handeln.

Nun zog General J nach Norden weiter. Kaum aber hatten die Heere den Bergpaß von Todschori überschritten, als sich plötzlich ein so furchtbarer Gegenwind, der den Leuten den Staub in die Augen trieb, erhob, daß sie keinen Schritt weiter vorwärts kamen. Die Heeresbanner flatterten gegen Songdo, die Pferde wieherten, folgten ihren Reitern nicht mehr, sondern wandten sich zurück gegen die Hauptstadt.

Das alles war für den Feldherrn ein Zeichen des Himmels, eine Aufforderung, die Herrschaft des schwachen, ausschweifenden Königs von Koryo an sich zu reißen. Er gab den Plan, China zu bekriegen, auf und gab Befehl, Songdo einzunehmen. Nun standen seine beiden Träume, die er in der Jugend gehabt hatte, wieder klar vor seinen Augen und er hatte die feste Zuversicht, daß er die Stadt bezwingen und Herrscher des gesamten Reiches werden würde.

Es dauerte in der Tat nur einige Tage, bis er im Besitz der Hauptstadt war. Der frühere König war im Kampfe gefallen und General J nahm, anerkannt von allen, als König J T’ädscho Besitz von Thron und Herrschaft. Sogleich entsandte er Boten in die Yudschomsa im Diamantgebirge und an den Einsiedler von Tokkul, ließ Muhak — so hieß der Einsiedler — zu sich bitten und gründete bald darauf das große buddhistische Kloster Sokwangsa bei Anpyon, dessen Macht niemand widerstehen konnte und dessen Reichtum sprichwörtlich wurde. Von nah und fern, bis auf diese Zeiten kommen Pilger und bewundern den herrlichen Tempel, erfreuen sich im grünen Walde von Sokwangsa und trinken aus der dortigen Heilquelle. Auch dem Kloster am Ulmenpaß übergab er reiche Geschenke und den gelehrten Mönchen hohe Ehrenstellen. Auch an anderen Orten im Diamantgebirge errichtete er Klöster, verlieh ihnen Reisfelder und Waldungen, so daß die Zahl der Bonzen bald mehrere Tausende betrug und ihre Kraft und ihr Auftreten rasch anstieg.

Der Bergpaß aber, wo der Feldherr den Entschluß gefaßt hatte umzukehren, heißt T’odschollyong bis auf den heutigen Tag.

Als die Minister des Reiches dem König eine Gemahlin aussuchen wollten, sagte der König: »Es ist nicht Sorge der Untertanen, mir eine Königin auszuwählen; es lebt bereits eine Jungfrau, die ich auserkoren habe; einige Minister mögen nach Sosan in Tschungdschongdo gehen, meine Braut aufsuchen und zu meiner Gefährtin machen!«

Wirklich hatte sich die Jungfrau bis dahin nicht vermählt, sondern dachte immer noch an den frischen Jüngling, dem sie einst das Wasser zum Trinken gereicht. Die Minister richteten den Befehl des Königs aus, führten die Braut heim und machten sie zur Königin.

Des Königs Gerechtigkeitsliebe und hohe Tugend ward bald im ganzen Lande bekannt. Die Beamten des Reiches waren voll von Rechtschaffenheit und Reinheit, und im ganzen Volke gab es niemand, der die Tugend des Königs nicht lobte. Damals war eine sehr glückliche Zeit. Der Regen setzte günstig ein und der Wind wehte, wenn es nötig war. Alles ging gut und blieb von Mißgeschick verschont. Und wo immer man Koreas Geschichte erzählt, gedenkt man mit Ehrfurcht des großen Königs T’ädscho.

Als der Sänger geendet hatte, klopfte Im Tschangsu voller Begeisterung auf die Knie und auch alle Anwesenden klatschten Beifall. Alles, was an die Größe unseres Tschoson-Reiches erinnert, wurde dankbar und mit Freuden aufgenommen. Der blinde P’ansu wußte dies, und nach einer kleinen Pause begann er die weitere Erzählung