Unter dem Odong-baum, Koreanische Sagen und Märchen by Tr.​Andrea Eckardt - HTML preview

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DIE DREI BETRUNKENEN IN DER UNTERWELT

 

Nach dem Glauben der Koreaner beginnt nach dem Tode des Menschen für diesen ein neues Leben in einer anderen Welt. Der Gute wird belohnt, der Böse fürchterlich bestraft oder in ein Tier verwandelt. Die Seelen der Gestorbenen müssen, wie wir wissen, beim Eintritt in die Unterwelt einen großen dicken und hohen Stachelzaun überschreiten, und deswegen wird der Leichnam vor dem Begräbnis fest mit Tüchern umwickelt und gepolstert, damit er sich an den Dornen ja nicht verwunde. Die Reise dauert überdies sehr lange, und viele Hindernisse sind hierbei zu überwinden. Deshalb werden für den Toten und dessen Seelenführer sieben Paar Mit'uri[95] im Hause des Verstorbenen auf gehängt. Der Herr der Unterwelt heißt »Okwang«, der die Seelen überführende Geist »Sadsche«. [96]

Nun lebten einst drei Gelehrte, die im blumigen Frühjahr auf den Päkaksan, einen im Norden von Soul gelegenen Berg, stiegen, um die schöne Aussicht auf Stadt und Land zu genießen. Sie hatten aber zu viel Wein mitgenommen, wurden betrunken und so stolperten sie auf dem holprigen Wege und fielen um.

Zu jener Zeit hatten auch die Sadsches[97] den Auftrag, täglich tausend Seelen ins Gefängnis[98] zu bringen. Aber es gab damals im Lande wenig Kranke und wenig alte Leute; daher hatten die Sadsches noch keine einzige Seele gefunden, als sie dorthin kamen, wo die drei Betrunkenen lagen. Im Glauben, sie seien Schwerkranke, brachten sie die Seelen dieser drei in die Unterwelt.

Der Richter sah in der Liste über die Lebensdauer der einzelnen Menschen nach und fand, daß die drei noch lange hätten leben sollen.

Ganz überrascht sagte der Richter zu den Knechten: »Wenn der Gott der Unterwelt erfährt, daß wir ungerechterweise Seelen von solchen hierhergebracht haben, die noch gar nicht gestorben waren, wird er uns schwer bestrafen. Sofort müßt ihr diese drei Seelen auf die Welt zurückbringen!«

Als die drei Koreaner dies hörten, wollten sie die günstige Gelegenheit benützen und sagten: »Um hierher zu kommen, braucht man vierzehn Tage, um zurückzukehren, wieder vierzehn, macht zusammen achtundzwanzig. Bis dahin sind unsere beerdigten Körper schon in Fäulnis übergegangen. Wohin sollen dann unsere Seelen zurückkehren?«

Da wurde der Richter sehr verlegen und sprach: »Nennt eure Wünsche!«

Der eine wünschte, ein General zu werden, mit außergewöhnlichen Eigenschaften ausgestattet; der andere wollte ein bewunderter Ratgeber des Königs werden; der dritte endlich wollte weder General, noch Beamter werden, noch reich und angesehen sein, sondern erbat sich ein ungestörtes, ruhiges und glückliches Leben.

Der König aber, der hinzugetreten war und die Wünsche mit angehört hatte, schalt die beiden ersten Narren, weil sie sich nichts Besseres gewünscht, den dritten belohnte er ob seiner Zufriedenheit.

»Olt’a, recht so!« rief Meister Yu. »Was ist ein General und was ein Ratgeber des Königs? Ist nicht ein einfacher Mann in einfacher Stellung, der rechtschaffen und zufrieden ist, glücklicher daran?«

Und er stopfte sich die Pfeife und war begierig auf das nächste Märchen, das Herr Tschang zu erzählen sich anschickte.