Unter dem Odong-baum, Koreanische Sagen und Märchen by Tr.​Andrea Eckardt - HTML preview

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HEIMATLIED

 

Tausend Meilen, wohl tausend weit,

ach, tausend Meilen beträgt der Weg zurück.

Wann denn, wann endlich

kehr in die Heimat zu Eltern, Geschwistern

ich freudig zurück, um sie zu sehn

und dann mit ihnen vereint zu sein?

Einsam leb’ ich hier in der Ferne,

zehn Jahre sind darüber schon hin.

Wann denn, wann endlich

komm ich ins Heimatland zurück?

Dort ist immerfort mein Herz,

mein Heimatland, mein alles!

Die Melodie des Liedes[119] war der Sehnsucht nach der Heimat angepaßt und traurig. Gleichwohl sangen die Knaben das Lied gerne, wußten sie doch, daß eine Reihe ihrer Landsleute fern ihrer Heimat weilte und auf bessere Zeiten hoffte.

Doch bald schwand die Trauer, und lustig und sich balgend sprangen die Knaben nach Hause.

Am kommenden Morgen, schon in aller Frühe, hatten sich die Schüler wieder in dem kleinen Schulraum versammelt, nahmen ihre großen Papierbögen zur Hand und übten die zum Teil sehr schweren chinesischen Schriftzeichen. Freilich wurden vom Anreiben der Tuschestange und vom zu tiefen Eintauchen in die Anreibeschale ihre Finger bald kohlrabenschwarz, aber beim Malen der Schriftcharaktere gaben sie sich alle Mühe.

Als Lehrer Pak etwas später ins Zimmer trat, warfen sich alle zur Begrüßung auf die Knie, berührten mit der Stirne den mattenbelegten Boden und fragten, ob der Herr Lehrer gut geruht und seinen Morgenreis genossen habe. Auf das zustimmende »hm, tschal mogodta«[120] setzten sich die Knaben. Pak sonsäng schaute die geschriebenen Zeichen, die freilich bei den Kleinen noch ungelenk waren, an, berichtigte, tadelte, war aber im allgemeinen doch zufrieden.

Aus dem »Tausend Zeichen-Buch« wurden wieder etwa vierundzwanzig Wörter in Aussprache, Bedeutung und Schreibweise geübt, dann nahm der Lehrer in pädagogischer Einsicht, daß Abwechslung den Unterricht belebe, für die älteren, im Studium fortgeschrittenen Knaben das klassische Buch des Mängdscha (Meng-tse) vor und ließ sie folgende Verse (Buch IV A) auswendig lernen:

Wenn Mauern und Wälle nicht fest sind, 

Wehr und Waffen nicht genügen, 

so ist dies kein Unglück fürs Land.

Wenn Felder und Äcker sich nicht dehnen, 

Güter und Reichtümer sich nicht mehren, 

so ist das auch keine Schande fürs Land.

Doch wenn der Fürst keinen Anstand übt, 

die Untertanen ohne Bildung bleiben, 

und räuberisches Volk das Land erfüllt, 

dann steht täglich das Ende bevor.

Wieder war der Nachmittag angebrochen, da bettelten die Knaben und baten Pak sonsäng, ihnen doch weitere Fabeln zu erzählen. Der Dorfschulmeister, der selbst seine Freude am Iyägi hatte, sagte zu, doch ließ er sie vorher noch einige Abschnitte des bereits gelernten Stoffes wiederholen. In Erwartung der versprochenen Erzählungen gaben sich die Schüler besondere Mühe, Meister Pak lobte sie und begann die Fabel