Unter dem Odong-baum, Koreanische Sagen und Märchen by Tr.​Andrea Eckardt - HTML preview

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Yu Yomdscho :
 IN DER WALDHÜTTE

Erzählungen

 

Die Provinz Hamgyong im Norden unseres Tschoson-Reiches[133] ist bekannt durch ihre tiefen Waldungen, die fast undurchdringlich sind, und durch ihren Reichtum an Hirschen und Rehen, Füchsen und Hasen; aber auch Wildschweine, Tiger und Bären gibt es in großer Zahl zum Schrecken der Einwohner, die den Raubtieren oft hilflos gegenüberstehen. Mehr als in anderen Teilen des Landes gehen darum die Männer, sobald sie die große Feldarbeit beendet und das kostbare Getreide nach Hause geschafft haben, auf die Jagd, stellen und legen Fallen, um die wilden Bestien, aber auch die Marder und Dachse, Füchse und Iltisse zu erlegen. Spät am Abend erst kehren sie nach Hause zurück, oft bleiben sie mehrere Tage, ja Wochen im Wald und wohnen in Holzhütten, die sie zum Schutz gegen die wilden Tiere auf hohen Pfählen errichten und die einen günstigen Ausblick auf die Umgebung gewähren.

Haben die Jäger Hirsche, Rehe oder andere größere Tiere erlegt, so binden sie deren Füße zusammen, eine Stange wird durch die Kreuzung geschoben, und zwei Mann tragen die oft schwere Last zurück in ihr Heimatdorf oder auf den Markt. Die Felle werden dann abgezogen und verkauft oder müssen abgeliefert werden, da sie, wie man sagt, nach China, dem Reich der Mitte, nach Rußland, dem Tau-Reich oder selbst in noch weiter entfernte Länder befördert werden und den Ruhm und Reichtum unseres Landes mehren.

Einst lebten nicht weit von Puktschong entfernt im Dorfe Kowon zwei wohlhabende Bauern. Die gingen im Herbst auf die Jagd. Ausgerüstet mit Pfeil und Bogen — beide waren gute Bogenschützen — und einigen Fallen aus Eisen, waren sie in die weiten Waldungen des Mängbusan[134] gewandert, hatten mehrere Tage hindurch in ihrer einsamen Hütte im Wipfel eines weitverzweigten buschigen Odong gehaust, ohne ein nennenswertes Tier erbeutet zu haben. Mit dem Fleisch von Wildenten und Fasanen, mit wohlschmeckenden Kräutern, Beeren und den saftigen Früchten gewisser Waldobstbäume, mit den knusprigen Kernen des Tschad-namu[135] und mit eßbaren Pilzen hatten sie ihr sonst einfaches Mahl, das nur aus Hirsebrei bestanden hätte, bereitet, und es war verständlich, daß sie gerne und vergnüglich plaudernd oft an ihrem Holzfeuer am Fuß des Baumes saßen und gemütlich ihre Pfeife rauchten.

Kim und Pak, so hießen die beiden Jäger, vertrieben sich die Zeit mit dem Erzählen von Geschichten.

»Tsch’am, wirklich«, sagte Herr Kim, »ich weiß gar nicht, wo ich beginnen soll, denn von Kindheit an haben mir Vater und Mutter soviele Geschichten erzählt, daß ich für viele Tage meinen älteren Bruder unterhalten kann. Ich kenne viele Erzählungen aus uralter und neuer Zeit. So höre denn!