Ritter Tschö Myongkil war noch jung. Häufig streifte er ganz allein in den Bergen umher und kam dabei einstmals nahe eines Gebirgsdorfes an einen Ort, wo viele Leute versammelt waren, die schrien und jammerten. Er drängte sich durch die Menge und rief: »Was ist geschehen?« Und bald sah und hörte er, daß die Gebirgsbewohner, um einen gefährlichen Tiger zu fangen, eine Falle gelegt hatten, und daß wirklich eine große, alte Bestie hineingestürzt war.
Darob war natürlich große Freude im Dorfe, und alles eilte hinaus, um den Tiger zu sehen. Ein Junge aber wagte sich zu nahe heran, reizte das gefangene Tier und steckte sogar seinen Fuß einen Augenblick in die Falle hinein. Mit einem Ruck packte der Tiger den Fuß am Gelenk und ließ ihn nicht mehr los. In dieser Stellung traf der junge Ritter den Knaben. Die Dorfbewohner waren alle in größter Sorge und jammerten laut, denn jeden Augenblick konnte die Bestie den Fuß abbeißen oder den Jungen weiter in die Falle ziehen. Einige dachten bereits daran, den Tiger aus der Grube herauszulassen, nur um das Leben des Knaben zu retten. Es war ein betrüblicher Anblick, aber keiner wußte Rat, wie man den Fuß des Knaben befreien könnte.
Tschö Myongkil war kaum angekommen und hatte die Lage überblickt, als er beiseite trat, schnell einen Stecken holte, einen leeren Strumpf mit etwas Fleisch, das er in seinem Sack als Köder für die Jagd bei sich trug, füllte und nun den längeren Stecken mit dem Strumpf, den er fest zugebunden hatte, so daß die Form eines Fußes entstand, von der Seite her langsam in die Tigerfalle schob. Der Tiger, angelockt durch den frischen Fleischgeruch, ließ vom Fuß des Knaben ab und packte dafür den künstlichen.
Nun war der Knabe gerettet und alle Anwesenden brachen in lauten Freudenjubel aus, lobten die Geistesgegenwart und den Mut des jungen Ritters und ehrten ihn, zumal bekannt war, daß er auch andere Heldentaten vollbracht hatte.
Die Begebenheit wurde dem Mandarin gemeldet. Dieser war begierig, den Ritter Tschö Myongkil kennen zu lernen und lud ihn zu sich ein. Nebenher hoffte er, eine Angelegenheit friedlich lösen zu können, die ihn schon lange beunruhigt hatte. Es handelte sich um folgendes.
In seinem Distrikt lebten zwei Brüder aus angesehener Familie: Ko Sodschak und Ko Idschak. Beide waren, so sehr sie sich dem Aussehen nach ähnlich waren, von Charakter völlig verschieden. Sodschak suchte, wo er nur konnte, seine Mitmenschen zu betrügen und sich auf unehrliche Weise Besitz und Geld zu verschaffen, war überdies ehrgeizig und, was in unserem Lande selten ist, durchaus nicht hilfsbereit, sondern hart und despotisch. Sein jüngerer Bruder Idschak aber war das gerade Gegenteil: wo er konnte, half er dem bedürftigen Nächsten, arbeitete von früh bis spät und wäre lieber gestorben, als daß er jemandem einen P’un[136] unehrlich abgenommen hätte. Durch Mißernte und Krankheit war er verarmt, während sein Bruder nicht wußte, wie er sein Geld verschwenden sollte.
Nun war ruchbar geworden, daß der König Kwanghä[137] die schönste Jungfrau des Landes an den Hof entbot, um sie zur Königin zu machen. Die sechzehnjährige Tochter Idschaks aber war weit und breit bekannt als die schönste; doch liebte sie eben den Ritter Tschö Myongkil, den sie zufällig an der Tigerfalle gesehen hatte, und wollte keinem anderen angehören, wie sehr auch ihr Vater in sie drang. Eine Werbung des Ritters, der auch die Jungfrau bemerkt hatte, ohne freilich mit ihr gesprochen zu haben, hatte Idschak ohne Wissen der Tochter abgewiesen, da der Mandarin die Tochter für den Königshof begehrte.
In dieser verzweifelten Lage hatte Idschak beim Mandarin um dessen Vermittlung nachgesucht. Es galt nun, den Ritter zu überreden oder durch List zu bewegen, von seinem Verlangen, das Mädchen zu besitzen, abzulassen und dem König den Vortritt zu geben. Dem Mandarin kam daher der Besuch des Ritters nicht ungelegen. Er ließ Kädori, die Tochter Idschaks, gleichfalls zu sich kommen, um sie dem Ritter vorzustellen und einen freiwilligen Verzicht herbeizuführen.
Es dauerte nicht lange, so meldete sich der Ritter am Hoftor des Yamen. Der Mandarin legte sein Amtskleid an, umgürtete sich mit dem Schildpattgürtel und bedeckte sich mit der zweiflügeligen Mandarinmütze. Dann setzte er sich auf das seidene Kissen vor dem Hoaro[138] nieder und erwartete den Ritter. Dieser, ein Jüngling von schlanker, sehniger Gestalt mit funkelnden Augen, trat ein, begrüßte den Mandarin und ließ sich auf dessen Geheiß auf dem Kissen nieder. Nach den üblichen Fragen, nach Gesundheit und Tätigkeit des Ritters, ließ der Mandarin das Essen auftragen. Kädori, die Tochter Idschaks, brachte die beiden Tischlein mit dampfendem Reis und den köstlichen Zutaten herein und setzte sich zur Bedienung und zum Einschenken von Reiswein auf ihr Kissen zwischen dem Mandarin und seinem Gast nieder.
Als die leeren Schalen wieder abgetragen waren, lud der Wirt den Ritter zu einem Tschangküi[139] (Schachspiel) ein. »Mein jüngerer Bruder[140] hat eben die Tochter Idschaks gesehen; ich weiß, daß sein Herz brennt und er sie zur Frau begehrt; doch verlangt auch der König, sie an seinen Hof zu führen. Wie wäre es nun, wenn wir im Spiel dem Schicksal die Lösung übertragen würden? Gewinnt mein jüngerer Bruder, so wird ihm Kädori gehören; gewinne ich, so müßte mein jüngerer Bruder auf das Mädchen verzichten und ich werde sie nach Soul bringen.«
Wiewohl nun das Herz des Ritters nach dem Mägdlein verlangte, ging dieser auf den Vorschlag ein und das Spiel begann. Die Soldaten wurden vorgerückt, Pferde und Elefanten, Türme und Geschosse gezogen. Doch der Ritter war zerstreut, denn seine Gedanken weilten bei Kädori, deren Anblick er nicht vergessen konnte. Es dauerte nicht lange und der Mandarin rief sein Tschangun[141]! Der Ritter war besiegt und mußte notgedrungen auf seine Liebe verzichten, der Mandarin aber konnte Kädori dem König vorstellen, der Gefallen an ihr fand und sie an seinem Hofe behielt.
Damit hatte auch alle Not Idschaks ein Ende; sein Bruder Sodschak jedoch grollte und suchte seinem Bruder auf alle mögliche Weise Schaden zuzufügen. Der Ritter Tschö Myongkil konnte diesem unberechtigten Hasse nicht tatenlos zusehen, sondern schützte Idschak, wo er konnte. Als nach einigen Jahren Korea wieder mit China im Streite lag, übertrug der König dem Sodschak die Verteidigung eines befestigten Ortes nahe der Grenze. Statt nun seinem Vaterlande treu zu dienen, unterhandelte dieser mit dem Feinde wegen kampfloser Übergabe. Dieser Verrat wurde dem König gemeldet und Sodschak zur Rechenschaft gezogen und hingerichtet. Nun erhielt Ritter Tschö Myongkil den Oberbefehl, und bald waren die chinesischen Truppen nicht nur zurückgeschlagen, sondern der Ritter konnte auch dem König im Kampfe das Leben retten. Dieser aber erhob Myongkil aus Dankbarkeit zum Minister und übergab ihm, um seine Treue zu belohnen, Kädori, die inzwischen am Hofe erzogen worden war, zur Frau.
So hatte das Schicksal die Ehrlichkeit Idschaks und die Uneigennützigkeit des Ritters belohnt, die Treulosigkeit und Unehrenhaftigkeit Sodschaks dagegen bestraft.
Herr Pak hatte aufmerksam zugehört und erinnerte sich gehört zu haben, daß Tschö Myongkil auch unter dem König Indscho[142], dem Nachfolger Kwanghä-kun’s, bedeutender Literat war. So zollte er der Erzählung seinen Beifall und begann seinerseits