Unter dem Odong-baum, Koreanische Sagen und Märchen by Tr.​Andrea Eckardt - HTML preview

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DIE GESCHICHTE VOM PFERDESCHWANZ

 

Einst besuchte ein Yangban zur Feier des sechzigsten Geburtstages seinen Freund und ritt dabei ein schönes, ausgesuchtes Pferd. Als er nun unter Begleitung des Pferdeknechtes am Hause des Freundes angelangt war, gab er seinem Diener den Auftrag: »Bleib du hier vor dem Tor und passe gut auf das Pferd auf! Es ist wertvoll. Ich gehe nur ein paar Stunden hinein, um den Geburtstag mitzufeiern. Wenn ich wiederkomme, bringe ich dir einige Leckerbissen mit. Wie ich aber zu Hause gehört habe, gibt es an diesem Orte viele Sieb- und Stirnbandflechter, die oft die Pferdemähnen stehlen, sowie Hutmacher, die es auf Pferdeschweife abgesehen haben. Verliere also deinen Kopf nicht[148], fasse die Zügel des Pferdes straff an und warte, bis ich komme!«

So sprach der Yangban und ging beruhigt in das Haus. Der Mabu[149] aber hatte große Angst und überlegte hin und her, wie er das kostbare Tier seinem Herrn unversehrt erhalten könne. Immer wieder blickte er bald auf die Mähne des Pferdes, bald auf dessen Schwanz. So verrann Stunde um Stunde, aber der Yangban kam nicht, wie sehr er auch nach ihm Ausschau hielt.

Schließlich fiel dem Mabu eine List ein und er sagte: »Ja richtig, wozu sollte ich denn irgend welche Angst haben? Heißt es nicht im Sprichwort ,Was man tut, soll man ganz tun und nicht eher fortgehen‘? Wenn nun ich selbst den Pferdeschwanz und die Mähne abschneide und aufhebe, so mag der größte Gauner kommen, er findet nichts, was er stehlen könnte!« Sprachs, zog aus seiner Tasche das allerdings stumpfe Messer heraus und begann zu schneiden. Dabei fiel ihm weiter ein und er sagte: »Wenn ich Schwanz und Mähne so tief abschneide, daß man kein Haar mehr sehen kann, dann ist ganze Arbeit getan, und weder mein Herr noch ich brauchen die geringste Angst zu haben, es möchte etwa ein Dieb kommen. Er wird kein Haar mehr finden!« Er schnitt also mit seinem Messer den Schweif bis tief in das Fleisch hinein ab, und als das Pferd vor Schmerzen mit dem Fuße ausschlug, schnitt der Mabu, ohne sich beirren zu lassen, immer weiter und beruhigte das Pferd, indem er sagte: »Wang, wang, inome mal! Ruhig, dummes Pferd! Ich schneide ja nur, damit du deinen Schwanz nicht verlierst; nur ruhig, wenn es auch ein wenig schmerzt, das geht vorüber, die Hauptsache ist, daß dein Schwanz nicht gestohlen wird. Ruhig, dummes Roß!«

Nachdem er nun den Schweif abgeschnitten hatte, steckte er ihn sich selbst hinten an seine Hose, setzte sich und wartete geduldig, bis sein Herr, der etwas angeheitert war, aus dem Hause heraustrat. Dieser erschrak nicht wenig und glaubte zuerst ein Gespenst zu sehen, denn ohne Mähne und Schweif sah das Pferd aus wie ein geschorener Hund[150]. Als er sich schließlich klar wurde, was geschehen war, fuhr er zusammen und sprach: »Inoma[151]! Habe ich es dir nicht im vornherein gesagt? Ich hatte schon so etwas geahnt und dir darum strenge anbefohlen, scharf aufzupassen, daß Mähne und Schweif nicht gestohlen werden. Wie mußt du aufgepaßt haben, daß man dem Pferde bis aufs Blut die Haare in dieser Weise abschneiden konnte! Hast du denn deine Augen gar nicht offen gehabt? Wo hast du denn hingeblickt? Du kannst nur geschlafen haben!... Armes Pferd!«

Jetzt erhob sich langsam der Pferdeknecht und sprach: »Aber, Herr, Sie hören ja gar nicht auf meine Worte und fangen gleich zu schimpfen an! Ich habe den Pferdeschweif durchaus nicht verloren; im Gegenteil! Weil ich wußte, daß Sie darob in Sorge waren und weil ich den hohen Wert des Schweifes kannte, habe ich selbst ihn bis auf die Haut abgeschnitten und ihn mir hinten angeheftet, mich darauf gesetzt und ihn sorgsam behütet! Hier ist er!« Und er riß mit einem Ruck den langen Schweif ab und reichte ihn seinem Herrn.

Dieser war sprachlos vor Entsetzen, dann aber faßte er sich und sagte: »Inoma! Du bist wie ein Bär so dumm! Habe ich dir auf getragen, den Schwanz abzuschneiden? Inoma! Wenn man mit dir geht, so bist du imstande, Roß und Reiter zu töten!«

Auf das Geschrei hin, und weil sich viele Leute angesammelt hatten, trat auch der Freund aus dem Haus heraus, betrachtete sich die ganze Sache, dann lachte er laut heraus, beruhigte den Yangban, versprach, ihm ein anderes Pferd zu verschaffen, und sagte: »Du hast einen treuen Diener, der auf dein Eigentum bedacht ist. Gerne nehme ich ihn in meine Dienste, denn ein Diener, der treu ist, ist zehntausendmal mehr wert als ein gescheiter Diener, der lügt und stiehlt!«

Herr Pak lächelte still vor sich hin, denn das Bild vom Mabu, der sich hinten den Schwanz befestigt hatte, kam ihm zu komisch vor; endlich rieb er sich die Hände, stopfte gemütlich seine Pfeife und sagte: »Tscham, ,ein treuer Diener, wenn er auch so dumm ist wie ein Bär, ist zehntausendmal mehr wert als einer, der lügt und stiehlt!‘ Aber nun höre meine Erzählung.«